Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 10.00
ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-215-8

Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-211-0

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Frank Deppe
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176 Seiten | EUR 14.80
ISBN 978-3-96488-197-7

Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
STREIK
Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

14. September 2020 Otto König/Richard Detje: Kampf um »Nordstream 2«

Wirtschaftliche Interessen und der Fall Nawalny

Röhren für Nordstream. Foto: Harald Hoyer (CC BY-SA 2.0)

Der Erholungsort Sassnitz auf Deutschlands flächengrößter Insel Rügen und die texanische Hafenstadt Brownsville an der mexikanischen Grenze haben außer dem Zugang zum Meer keine Gemeinsamkeiten. Anfang August gab es jedoch an beiden Orten Ereignisse, die eng miteinander verbunden sind.

Während die Brownsviller Hafenbetreiber einen Gerichtsentscheid bejubelten, der den Weg zum Bau neuer Flüssiggas-Terminals frei machte, traf in Sassnitz eine Depesche des republikanischen Senators aus dem Bundesstaat Texas, Ted Cruz, sowie seiner Kollegen Tom Cotton aus Arkansas und Ron Johnson aus Wisconsin ein.

Barsch stellten die Frackinggas-Lobbyisten »das künftige finanzielle Überleben« des Ostsee-Hafens zur Disposition.[1] Die Versorgung russischer Verlege-Schiffe und jede weitere Beteiligung am Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 berge das Risiko, »die Fährhafen Sassnitz GmbH und den Hafen Mukran sowie deren Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer, Aktionäre und Mitarbeiter*innen rechtlichen und wirtschaftlichen Sanktionen auszusetzen. Ein weiterer Versuch US-amerikanischer Hardliner, die Fertigstellung der zu 95% vollendeten 1.200 Kilometer langen Erdgaspipeline in letzter Minute zu verhindern.[2]

Die Heimatstaaten der drei Republikaner zählen zu den Profiteuren des Fracking-Booms. Vordergründig lautet das parteiübergreifende Narrativ in den USA: Deutschland und Europa begeben sich mit den Gaslieferungen aus Russland in die Abhängigkeit Moskaus, das jederzeit den Gashahn zudrehen könne. Tatsächlich kommt das Gros der Erdgas-Importe aus Russland, gefolgt von den Niederlanden und Norwegen. Dabei geht die Menge des Erdgases, das in der Nordsee gefördert wird, stetig zurück. Und das in den USA durch Fracking gewonnene Flüssiggas ist teuer und ökologisch bedenklich. An Russland als wichtigem Gas-Exporteur kommen also weder Deutschland noch die Europäische Union vorbei.

Im Streit zwischen den USA und Deutschland um Nord Stream 2 kommen nationale Wirtschaftsinteressen und geopolitische Aspekte zusammen. Im »Make America Great Again«-Modus versucht die Trump-Administration ihre Fracking-Industrie zu retten und Europa die Kosten dafür aufzubürden. Unverblümt erklärte der Energiemarktexperte Robert McNally gegenüber der New York Times: »Wir wollen, dass sie von uns kaufen und nicht von den Russen.« In einer vergleichbaren Aktion macht Washington im Streit um eine Beteiligung des chinesischen Konzern Huawei beim Aufbau des 5G-Netzes weltweit Druck. Zudem, so die weiteren Vorhaltungen aus den USA, könnte die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland im Energiesektor ein Baustein auf dem langen Weg zu einem eurasischen Wirtschaftsraum sein, der eine neue Sicherheitsarchitektur nach sich ziehen würde, was im Widerspruch zur Nato-Doktrin stünde.

Die USA machten von Beginn der Bauarbeiten an deutlich, dass sie nichts unversucht lassen würden, um die zweite Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland zu verhindern. Zuletzt hatte die Trump-Administration im Juli weitere völkerrechtswidrige Sanktionen gegen die Erdgaspipeline Nord Stream 2 erlassen. Die Zwangsmaßnahmen gegen 120 Unternehmen aus zwölf Ländern Europas, die an der Pipeline beteiligt sind, traten mit sofortiger Wirkung in Kraft.

Die neuen US-Sanktionen beruhen auf dem Countering America's Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA), der schon im Juli 2017 im US-Kongress verabschiedet und von Trump unterzeichnet worden war. Das Gesetz hatte eine Verschärfung wirtschaftlicher »Strangulierungs«-Maßnahmen gegen Iran, Nordkorea und Russland zur Folge. Mit Sanktionen belegt werden können seitdem Unternehmen ebenso wie Einzelpersonen. Die Ausweitung des eigenen Rechts auf Beziehungen unter Dritten (exterritoriale Wirkung) ist juristisch unzulässig. Doch wie es in einer aktuellen Analyse des European Council on Foreign Relations (ECFR) heißt, lässt das jüngste US-Sanktionsgesetz gegen Nord Stream 2 keinen Zweifel daran, dass Washington im Wirtschaftskrieg kein »Tabu« mehr kenne (German Foreign Policy vom 17.7.2020).

Aus der deutschen Politik und Industrie kamen geharnischte Reaktionen. Außenminister Heiko Maas schimpfte: »Die europäische Energiepolitik wird in Europa gemacht und nicht in Washington.« Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte die »extraterritorialen« Sanktionen als »völkerrechtswidrig« (manager-magazin.de vom 16.7.2020). Washingtons Schritt markiere einen »unfassbaren Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen«, kritisierte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes, »die EU und Deutschland dürfen sich ... nicht wie ein amerikanisches Protektorat vorführen lassen«. Doch so einhellig die Ablehnung der »exterritorialen Sanktionen« auch war, so uneinig bis schwach zeigten sich die Vertreter aus Politik und Wirtschaft, als es um konsequente Reaktionen ging. Statt die sofortige Aufhebung des rechtswidrigen Anti-Nordstream-Gesetzes zu verlangen, verhielt sich die Bundesregierung zögerlich.

Wie dreist und anmaßend sich US-amerikanische Repräsentanten im Umgang mit souveränen Staaten verhalten, wurde bereits Ende Mai 2020 offenbar, als der inzwischen abgedankte US-Botschafter Richard Grenell seine erpresserischen Drohungen gegen Deutschland wiederholte und die Bundesregierung aufforderte, ihre Russlandpolitik grundsätzlich zu überdenken: »Deutschland muss aufhören, die Bestie zu füttern, während es zugleich nicht genug für die Nato zahlt.«

An die Seite der USA stehen Teile der Union und der FDP sowie der Grünen. Der mutmaßliche Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny[3] ist für sie ein willkommener Anlass, nun selber den Stopp von Nordstream 2 zu fordern. Jetzt müsse »alles auf den Prüfstand«, fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU). Die Vollendung der Ostseepipeline wäre die »ultimative und maximale Bestätigung für Wladimir Putin, mit genau dieser Politik fortzufahren«. Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, erklärte, »der offenkundige Mordversuch durch die mafiösen Strukturen des Kreml« müsse »echte Konsequenzen haben«. Nord Stream 2 sei nichts mehr, was man gemeinsam mit Russland vorantreiben könne.

Obwohl es auch der Bundesregierung und dem deutschen Geheimdienst schwerfällt, nachzuweisen, dass »der Kreml« den Anschlag auf Nawalny angeordnet oder wissentlich geduldet hat, gilt der Grundsatz »in dubio pro reo« in den Beziehungen zu Russland offenkundig nicht. Der abscheuliche Anschlag auf Nawalny dient als neuer Treibsatz für das Auseinanderdividieren Russlands und des Westens. Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes, hält dagegen: »Auf die Vergiftung Nawalnys mit weiteren Wirtschaftssanktionen zu reagieren, die dann wieder an der Sache völlig unbeteiligte Unternehmen und die russische Bevölkerung treffen würden, halten wir für falsch.« Man dürfe nicht zulassen, dass sich der Vorfall zu einer dauerhaften Belastung der bilateralen Beziehungen entwickle und die deutsch-russischen Wirtschaftskontakte beeinträchtige.

Während Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) einen Baustopp von Nordstream 2 »strikt ablehnt«, droht ihr Parteigenosse Heiko Maas, den Bau der Gaspipeline zu stoppen, »sollte sich die russische Regierung nicht an der Aufklärung des Falles Nawalny beteiligen«. An der Aufklärung beteiligen sollte sich die Putin-Administration in der Tat. Doch Maas agiert gegenüber den USA nicht das erste Mal in einer Weise, dass zu befürchten ist, dass die letzten Reste der Willy Brandt’schen Entspannungs- und Ostpolitik geopfert werden.

[1] Sens. Cruz, Cotton, Johnson Put German Port on Notice for Involvement in Russia's Nord Stream 2 Pipeline. cruz.senate.gov vom 5.8.2020.
[2] Dass die Pipeline nicht – wie ursprünglich geplant – längst fertig ist, hat letztlich auch damit zu tun, dass die Schweizer Firma Allseas nach ebenfalls einschlägiger Post aus Texas kurzerhand ihr Verlege-Schiff abgezogen hat, um auf dem US-Markt keine Kundschaft zu verlieren. Inzwischen haben die Russen zwar Ersatzschiffe nach Rügen geschickt, die jedoch wegen der politischen Turbulenzen ihre Arbeit noch nicht aufgenommen haben. Siehe: Otto König/Richard Detje: Donald Trump wütet gegen Nord Stream 2. Machtkampf um Gas und Profit, Sozialismus Aktuell.de vom 28.1.2019.
[3] Der russische Oppositionspolitiker Nawalny brach auf einem Inlandsflug in Russland bewusstlos zusammen. Nach einer Erstversorgung durch russische Ärzte, liegt er jetzt in der Berliner Charité. Nach einer Erklärung der Bundesregierung hat das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr in München Proben von Nawalny analysiert und »zweifelsfrei« festgestellt, dass es sich um einen chemischen Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe handelt.

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