8. März 2020 Joachim Bischoff: Eintrübung der Konjunkturaussichten

Corona-Pandemie beendet lange Prosperitätskonstellation

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Angeführt von der Wirtschaftslokomotive USA erlebten wir die längste konjunkturelle Wachstumsphase von mittlerweile rund elf Jahren. Seit dem Juni 2009 war die US-Wirtschaft stetig gewachsen. Festgestellt haben den Rekord die Statistiker*innen des unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitut National Bureau of Economic Research.

Der aktuelle Wirtschaftszyklus ist allerdings nicht nur der längste, sondern auch einer der schwächsten nach der Finanzkrise. Rechnet man die Wachstumsraten pro Quartal zusammen, legte die US-Wirtschaft über diesen Zeitraum um rund 25% zu. Dieser auserordentlichen Prosperitätskonstellation drohte im Laufe des Jahres 2019 eine Abschwächung, aber zu dem von Vielen befürchteten Einbruch bei den Wertpapieren war es nicht gekommen.

Wichtigster Faktor für die Verhinderung einer Abwärtsbewegung war die lockere Geldpolitik in einigen Ländern, ohne die die Schwäche des Akkumulationszyklus laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) deutlicher in Erscheinung getreten wäre. Mit einer globalen Zinssenkungspolitik konnte die Abwärtstendenz abgeschwächt werden. Der IWF rechnete daher für 2020 einem leichten Anstieg des Wachstums der Globalökonomie von 2,9% auf 3,3%. In der Tat deutete ein Zuwachs in der Globalökonomie von 0,4% auf eine mäßige Beschleunigung der Akkumulation hin.


Das Coronavirus als Krisenfaktor – IWF fordert »globale Reaktion«

Anfang März korrigierte der IWF die Prognose für 2020. Die Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums durch die Pandemie des Coronavirus wird bedeutender sein als bisher angenommen. Das Virus, dessen Verbreitung in der chinesischen Mega-City Wuhan in der Provinz Hubei ihren Ausgang genommen hat, hat mittlerweile den Erdball erfasst. Es ist nicht nur eine gesundheitliche Gefahr, sondern verstärkt zeichnen sich auch die wirtschaftlichen Folgen des Erregers ab. Internationale Wertschöpfungsketten werden unterbrochen, es kommt zu Lieferengpässen, die Produktion gerät ins Stocken, Lagerbestände leeren sich, und Konsument*innen verspüren wenig Lust auf Einkaufsbummel oder Reisen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) warnt denn auch vor einer deutlichen Abschwächung der Weltkonjunktur. Im negativsten Szenario wird gar eine Halbierung des Wachstums in Aussicht gestellt. Die Furcht vor einer Rezession macht sich breit, an den Börsen gibt deutliche Korrekturen.

Laut der OECD handelt es sich beim Coronavirus um das größte Wirtschaftsrisiko seit der Finanzkrise. Das globale Wirtschaftswachstum soll noch unter die Rate des Jahres 2019 fallen. Der IWF rechnet mit einem Rückgang um 0,5% gegenüber der bisherigen Prognose von 3,3% Wachstum im Jahr 2020. Für die OECD fällt der Rückgang infolge der Corona-Infektionen noch deutlicher aus (siehe Abbildung).

Binnen weniger Wochen hat das Coronavirus Börsen und Unternehmen in den Krisenmodus gestürzt. Vor dem Treffen der Berliner Koalitionsspitzen mehren sich die Forderungen, die wirtschaftlichen Folgen abzufedern. Die Vorschläge reichen von einem Konjunkturprogramm über Steuererleichterungen für Unternehmen bis hin zu der vorzeitigen Soli-Abschaffung. Weltweit haben Regierungen bereits mit finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die Epidemie reagiert.

Die US-Notenbank Federal Reserve hat den Schlüsselsatz für Zinsen um einen halben Punkt auf die neue Spanne von 1,0 bis 1,25% gesenkt. Die Möglichkeiten der Europäischen Zentralbank (EZB) sind demgegenüber beschränkt, da der Leitzins in Frankfurt ohnehin bei 0% liegt. Neben dem enormen Stress, unter dem die Gesundheitssysteme in Japan, Südkorea, Iran und Italien stehen, wird immer klarer, dass die Corona-Krise eine Reihe von Simultan-Schocks auf die Wirtschaftssysteme ausgelöst hat.

Die japanische Zentralbank richtete sich in einer außergewöhnlichen Erklärung an Investoren und versicherte, sie werde die »Stabilität der Finanzmärkte« sicherstellen. Die neue Chefin des IWF, Kristalina Georgieva, erklärte, die Epidemie sei »ein globales Problem, das nach einer globalen Reaktion verlangt«. Von der Epidemie betroffenen IWF-Mitgliedstaaten sollen Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 50 Mrd. US-Dollar zur Verfügung gestellt werden. Auch die Weltbank stellte Hilfen in Höhe von 12 Mrd. US-Dollar in Aussicht. Ziel sei es, vor allem ärmeren Ländern »schnell« und »effektiv« zu helfen.


Warum Stabilisierung der Finanzmärkte und
Stärkung durch die Notenbanken?

Der Abbruch der langen Prosperitätsphase bildet sich im Bereich der Wertpapiere entsprechend ab: Vor elf Jahren ließen die Börsen weltweit die Talsohle hinter sich und setzten zu einer langen Hausse an. Seither kletterte das US-Börsenbarometer, mit den üblichen kleineren Ausschlägen, nach oben. Diese Aufwärtsbewegung war eine der stärksten und längsten in der Finanzgeschichte. Die Rückwirkungen der Corona-Infektion haben zum Abbruch dieser Bewegung geführt.

Obwohl sich die Dynamik auf eine anhaltende Prosperität der Realökonomie stützte, wurden die Überwindung der großen Finanzkrise und der langjährige wirtschaftliche Aufstieg  entscheidend durch die Stimulierungsmaßnahmen (Quantitative Easing, QE) der wichtigen Notenbanken (Fed, EZB und Bank of Japan) begleitet. Wie weit jetzt das globale Wirtschaftswachstum sinkt und wie lange die Störung anhält, hängt von der »Aktualität und Wirksamkeit« der Reaktion der Regierungen auf die Gesundheitskrise ab. Auch wenn das Coronavirus inzwischen eine globale Verbreitung erreicht hat, zeigen zunehmend sehr lokale Auswirkungen.

Die Epidemie ist derzeit tatsächlich die größte Bedrohung für die Weltkonjunktur, die Aktienmärkte sind teilweise auf dem Weg nach unten. Eine Abwertung der Verbindlichkeiten könnte an den Finanzmärkten zu erheblichen Turbulenzen führen. Der weltweite Handel schwächelte schon vor dem Ausbruch des Virus und wird nun noch weiter geschwächt. Das Risiko einer globalen Industrierezession steigt.

Das Virus hat der Weltwirtschaft, die bereits durch Handelsstreitigkeiten und politische Spannungen geschwächt war, einen zusätzlichen Schlag versetzt. Die OECD ermutigt die Regierungen zu unverzüglichem Handeln, um die Epidemie einzuschränken, die Gesundheitssysteme zu stützen, die Bürger*innen zu schützen, die Nachfrage zu stärken und das finanzielle Überleben der am stärksten betroffenen Unternehmen und Haushalte zu garantieren.


Sprengen von Lieferketten

Für den bisherigen Wachstumschampion China rechnen zahlreiche Beobachter*innen mit einer schrumpfenden Wirtschaft im ersten Quartal. Das Land ist nicht nur ein großer Nachfrager nach weltweiten Produkten, sondern auch ein wichtiger Produzent in vielen grenzüberschreitenden Lieferketten. Produktionsunterbrüche oder gar Produktionsstopps dürften noch zunehmen, und die kosteneffiziente Just-in-time-Fertigung, die auf lückenlosen Nachschub von Rohstoffen und Zwischenprodukten angewiesen ist, wird zur Falle (siehe hierzu ausführlicher meinen Beitrag Coronavirus als Krisenfaktor der Globalökonomie auf Sozialismus.deAktuell vom 1. März 2020).

Noch besteht die Hoffnung, dass das Virus in den nächsten Monaten in den Griff zu bekommen ist und sich seine unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen damit in Grenzen halten werden. Doch selbst dann setzt die Corona-Epidemie die Globalisierung einem außerordentlichen Stresstest aus, weil Gewissheiten infrage gestellt werden. Dies fällt auf fruchtbaren Boden, weil die Globalisierung ohnehin Ermüdungserscheinungen zeigt. Bereits seit rund zehn Jahren, also noch länger, als die von Trump angezettelten Handelskonflikte zurückliegen, stagniert der Anteil des Handels oder von Direktinvestitionen an der globalen Wirtschaftsleistung.

Die ökonomischen und finanziellen Auswirkungen sind weltweit zu spüren, sorgen für Unsicherheit und trüben die kurzfristigen Aussichten ein. So lautet das Urteil von Kristalina Georgieva vom IWF. Das Coronavirus ist nach ihrer Ansicht ein ernsthaftes Risiko für die globale Wirtschaft, das Ausmaß der Folgen sei noch nicht absehbar. Der IWF werde in den nächsten Wochen neue Prognosen für die Weltwirtschaft vorlegen. Georgieva versicherte, dass die 189 Mitgliedsländer des Währungsfonds zusammenstünden, um die negativen Folgen abzumildern – besonders für die am stärksten betroffenen Menschen und Ländern. Der Fonds werde alle verfügbaren Finanzierungsinstrumente nutzen, um Mitgliedsländern in Not zu helfen.


Grenzen der Intervention

Im Gegensatz zur Finanzkrise im Jahr 2008 sind die Interventionsmöglichkeiten der Notenbanken allerdings beschränkt. Denn diesmal sind nicht die Exzesse des Finanzsektors der Grund, warum wirtschaftliche Aktivität plötzlich zum Erliegen kommt. Sondern Wirtschaftsakteure reduzieren ihre Kontakte zu Kolleg*innen, Kund*innen, Produzent*innen und Lieferanten auf ein Minimum und Konsum- und Investitionsentscheidungen werden aufgeschoben, bis Klarheit darüber herrscht, wann die Corona-Krise überwunden ist.

Neben den Notenbanken sind die Regierungen gefordert: Kurzarbeit, Zinssenkungen, eine temporäre Lockerung der Insolvenzregeln sowie kurzfristige Liquiditätsangebote für Unternehmen, die in den kommenden Wochen und Monaten in eine Schieflage geraten werden, stehen auf der Agenda.

Die Lage ist eindeutig: Die Weltwirtschaft und damit auch die Ökonomie in Deutschland bewegen sich am Rande einer Abwärtsspirale. Die schwächelnde Akkumulation, verursacht durch eine rezessive Entwicklung der Industrie, muss aktuell auch noch die Folgen der Corona-Pandemie bewältigen, von der auch die Expert*innen nicht genau abschätzen können, welches Ausmaß sie haben wird, und vor allem wie lange sie anhalten wird.

Mindestens in naher Zukunft wird sich die Lage verschärfen, d.h. dass auch in Deutschland Betriebe vorübergehend geschlossen werden könnten. Verkaufs-Veranstaltungen wie Messen sind bereits abgesagt und womöglich werden sogar Mobilitätsbeschränkungen verhängt, wie sich dies in anderen europäischen Ländern bereits abzeichnet. Es droht eine weitere Beschädigung der Konjunktur, was sich durch Rückwirkungen durch die Finanzmärkte verschärfen könnte. Daher gibt es die berechtigten Forderungen nach staatlichen Gegenmaßnahmen:

  • Bisher gibt es Kurzarbeitergeld, wenn mindestens ein Drittel der Belegschaft eines Betriebs von erheblichem Arbeitsausfall betroffen ist. Diese Schwelle soll gesenkt werden. Wenn Unternehmen in schwierigen Zeiten ihre Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit schicken, statt ihnen zu kündigen, zahlt der Staat unter bestimmten Voraussetzungen 60%, bei Arbeitnehmer*innen mit Kindern maximal 67% des ausgefallenen Nettolohns an die Beschäftigten. Während der Finanzkrise hatten die Unternehmen die verbleibende Lücke selbst geschlossen. Im Gespräch ist außerdem, Firmen mit Kurzarbeit bei den Sozialbeiträgen zu entlasten.
  • Neben einer flexibleren Regelung zum Kurzarbeitergeld sind Bürgschaften oder Steuerstundungen denkbar, damit es nicht zu erheblichen Schäden in der deutschen Wirtschaft kommt.
  • Der Deutsche Städtetag plädierte zudem für die Einrichtung eines Hilfsfonds für Unternehmen vor Ort.
  • Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte ein »umfangreiches Zukunftsinvestitionsprogramm« und finanzielle Entlastungen der Kommunen bei Schulden.
  • Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach sich für Steuererleichterungen, den kompletten Abbau des Solidaritätszuschlags und einen Anschub für staatliche und private Investitionen aus.
  • Ferner wäre es möglich, Steuervorauszahlungen zu stunden und damit die Liquidität der Unternehmen zu sichern. Denkbar wären auch Notkredite, falls an sich solide Unternehmen in Folge von längeren Betriebsschließungen Gefahr laufen, insolvent zu werden. Sollte die Gefahr womöglich eskalieren, könnte die Ankündigung eines umfassenden Schutzschildes für die Wirtschaft starke Signalwirkung entfachen und Panikreaktionen verhindern.

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