10. August 2020 Friedrich Steinfeld: Der Konflikt zwischen den systemischen Rivalen spitzt sich zu

Machtverschiebungen im Nahen und Mittleren Osten

Foto: Jakob Reimann/flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Während US-Präsident Donald Trump und sein Außenminister Mike Pompeo die Gangart gegen China weiter verschärfen und versuchen, eine Allianz »freiheitsliebender Nationen« gegen die »neue Tyrannei« in China zu formieren, intensivieren China und der Iran die Zusammenarbeit. Peking gibt damit seine bisherige außenpolitische Zurückhaltung im Konflikt der USA mit Iran auf. Die Konsequenzen sind weitreichend. Die FAZ spricht von einer »geotektonischen Verschiebung«.[1]

 

China und Iran intensivieren wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit

Der Iran leidet nicht nur unter den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des harten Sanktionsregimes der USA, die die hausgemachten wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Mullah-Regimes noch mal erheblich verschärft haben, sondern auch unter den Folgen der Coronavirus-Pandemie. Präsident Hassan Rohani befürchtet, dass schon 25 Mio. Iraner*innen mit dem Coronavirus infiziert sind. Angesichts dieser desolaten Gesamtlage hat Iran den Druck auf China verstärkt, eine schon 2016 geschlossene Abschlusserklärung zwischen Teheran und Peking mit konkreten Zusagen zu füllen.

Bislang hatte sich China zumindest partiell an die Sanktionen der USA gegen Iran gehalten. Die Chinesen waren einer der Hauptabnehmer des iranischen Erdöls, die Öleinfuhr aus Iran soll bis zum März 2020 um fast 90% gefallen sein. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern ist um 40% gesunken. Nun hat sich die chinesischen Außenpolitik eindeutig geändert: Rund 400 Mrd. US-Dollar sollen über ein Vierteljahrhundert bereitstehen für den Ausbau iranischer Brücken und Häfen, Pipelines und Eisenbahnlinien, Ferienhotels, Telekommunikation und Landwirtschaft. Im Gegenzug liefert der Iran das Erdöl für den (nach der Eindämmung der Pandemie wieder in Gang gekommenen) chinesischen Wachstumsprozess. Mit dem Iran und seinen 82 Mio. Einwohner*innen bietet sich zugleich ein großer neuer Wachstumsmarkt für chinesische Waren.

Flankiert werden soll das Wirtschaftsabkommen durch eine militärische Partnerschaft. Nach dem ersten militärischen Stützpunkt außerhalb Chinas im ost-afrikanischen Djibouti folgt nun der zweite im iranischen Jask, am Eingang vom Indischen Ozean in die Straße von Hormuz. Die Straße von Hormuz gilt als das Nadelöhr für den Export von Erdöl per Schiff aus der Golf-Region. Mit einem Militärstützpunkt an dieser geo-politisch höchst sensiblen Stelle sendet China auch ein machtpolitisches Signal in die Region.

Insgesamt ermöglicht die chinesische Unterstützung dem Iran wohl das wirtschaftliche Überleben. Die Intensivierung der wirtschaftlichen und militärischen Kooperation zwischen China und Iran bedeutet keineswegs automatisch eine Konfliktbefeuerung, sondern könnte im Gegenteil zu einer Stabilisierung dieser konflikt- und kriegsträchtigen Region beitragen. Eine wirtschaftliche Unterstützung durch China beim dringend erforderlichen Ausbau der Infrastruktur des Landes, der Telekommunikation, der Landwirtschaft und des Tourismus könnte einerseits das Land in der Modernisierung der Wirtschaft entscheidend voranbringen, andererseits auch mäßigend auf die außenpolitische Bestrebungen des Irans einwirken, einen schiitischen Machtgürtel von Iran über Syrien bis hin zum Libanon aufzubauen und die Existenz Israels zu bedrohen, sowie eine Wiederaufnahme des Programms zum Atombombenbau verhindern. Und eine effektive Unterstützung des Iran bei der Bekämpfung der Pandemie ist nicht nur im iranischen, sondern im Gesundheitsinteresse der Weltbevölkerung dringend geboten.

Gleichzeitig ist auch einer der zentralen Stützpfeiler der US-Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten, Irans Erzfeind Saudi-Arabien, durch den weltweiten wirtschaftlichen Niedergang wirtschaftlich in die Defensive geraten.

 

Der saudische Erzrivale in der Defensive

Die saudische Wirtschaft leidet massiv unter dem weltweiten Shutdown der Volkswirtschaften. Der globale Reise- und Lieferverkehr, noch immer primär auf fossilen Energieträgern basierend, ist mit dem Ausbruch der Pandemie zusammengebrochen, der Erdölpreis infolge der stark gesunkenen Nachfrage nach Benzin und Kerosin eingebrochen. Der Ölpreis hat sich mittlerweile wieder bis auf etwas über 40 US-Dollar pro Barrel erhöht, liegt aber immer noch weit unter dem Vor-Coronaniveau von ca. 70 US-Dollar.

Saudi-Arabien benötigt für einen ausgeglichenen Haushalt einen Ölpreis von ca. 75 US-Dollar, also fast das Doppelte des momentanen Preisniveaus. Das Land hatte allein im 2. Quartal ein Budgetdefizit von 29 Mrd. US-Dollar zu verzeichnen. Auch wenn Saudi-Arabien über ein hohes Finanzpolster verfügt, dürfte die im Rahmen der »Vision 2030« angestrebte tiefgreifende Modernisierung der saudischen Wirtschaft, um vom Erdöl unabhängig zu werden, zumindest in ihrem zeitlichen Horizont gestreckt und in ihrem Umfang abgespeckt werden.

Die von den USA im Zuge des Ausbaus ihrer geo-politischen Hegemonie nach dem 2. Weltkrieg mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten geschmiedete Allianz zur Überwachung der Produktion und Verteilung der fossilen Energieträger hatte durch die Klimakrise und die weltweit aufkeimende Debatte um eine CO2-neutrale Produktions- und Lebensweise schon vor der Coronavirus-Pandemie an Bedeutung verloren, was sich auch in zunehmenden Konflikten zwischen den verschiedenen Erdöl-Prozenten (Opec, Opec +, USA) über Fördermengen und Preise zeigte. Mit der Pandemie dürfte sich der Bedeutungsverlust dieser »fossilen Allianzen« eher noch beschleunigen.

Gleichzeitig verhindert ein niedriger Ölpreis eine Ausweitung der in der Krise heruntergefahrenen Fracking-Industrie in den USA, die 2019 zum größten Netto-Exporteur von Öl und Erdgas aufgestiegen waren. Da auch die USA unter der Nachfrageschwäche nach fossilen Energieträgern leiden, versuchen sie parteiübergreifend die nahezu fertiggestellte Gaspipline Nord Stream 2 durch Sanktionen zu verhindern und dafür das US-Flüssiggas auf dem europäischen Kontinent zu verkaufen (s.u.).

 

Neue Bündnisse und Konfliktlinien im Nahen und Mittleren Osten

Mit der Vereinbarung einer engen wirtschaftlichen und militärischen Kooperation zwischen China und Iran hat China auch Bestrebungen Indiens ausgehebelt, durch eine engere wirtschaftliche Kooperation mit Iran ein größeres Gegengewicht zum regionalen Rivalen Pakistan zu bilden. Der indische Ministerpräsident Narendra Modi wollte ursprünglich mit dem iranischen Hafen Chabahar eine Alternative zum Hafen Gwadar in Pakistan aufbauen. Teheran hat inzwischen Indien aus dem Eisenbahn-Projekt von Chabahar über Afghanistan nach Turkmenistan zur Anbindung nach Zentral-Asien geworfen mit der Begründung, Indien habe sein Finanzierungsversprechen nie erfüllt. Die ursprünglich geplante stärkere wirtschaftliche Kooperation zwischen Indien und Iran war von der Trump-Administration sogar extra aus der Liste der US-Sanktionen gegen Iran herausgenommen worden, um Indiens wirtschaftliche Bedeutung gegenüber China zu stärken. Die indische Opposition kritisierte das chinesisch-iranische Ausbooten Indiens als völligen Zusammenbruch der indischen Global-Strategie.

Pakistan und Iran bieten zusammen einen riesigen Wachstumsmarkt von über 300 Mio. Menschen für chinesische Waren. Mit der verstärkten wirtschaftlichen Kooperation mit Pakistan und Iran baut Peking sein Projekt »Belt and Road Initiative« (BRI) weiter aus und gewinnt zugleich geo-politisch weiter an Gewicht im Nahen und Mittleren Osten. Im Übrigen haben auch Israel und die Türkei Abkommen mit China zur Kooperation im Rahmen der BRI abgeschlossen.

Die USA versuchen gegen solche Machtverschiebungen eine Allianz von Staaten gegen China aufzubauen. Großbritannien hat bereits – im Hoffen auf ein günstiges bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA – den chinesischen Anbieter Huawei aus dem Ausbau des Mobilfunk-Netzes 5G herausgedrängt. Auch Indien schickt sich an, Teil dieser Allianz zu werden.

 

Indien – ein neuer strategischer Partner der USA gegen China?

Bei der Bekämpfung von Corona in Indien zeigen sich vor allem massive strukturelle Defizite im indischen Gesundheitswesen. Das Virus scheint sich in Indien mehr oder weniger ungehindert auszubreiten, obwohl die indische Regierung des Ministerpräsidenten Modi dem Land sehr früh einen strikten Lockdown verordnet hatte. Indien mit seinen 1,3 Mrd. Einwohner*innen ist hinter den USA und Brasilien weltweit das Land mit den meisten Corona-Neuinfektionen. Mittlerweile sind dort zwei Mio. Covid-19-Fälle nachgewiesen. Seit Wochen sind es mehr als 50.000 bestätigte Fälle pro Tag. Forscher*innen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) schätzen, dass Indien zu Beginn 2021 das Land mit dem schlimmsten Ausbruch weltweit sein könnte. Es gibt vor allem viel zu wenig Ärzt*innen, Pflegepersonal und medizinische Ausrüstung für den Kampf gegen das Virus sowie viel zu wenig Krankenhausbetten, wie Bilder von auf Kartons liegenden Patient*innen in den Krankenhäusern von Delhi oder Mumbai zeigen.

Mit Rückendeckung durch die USA will der indische Ministerpräsident Lieferketten aus China abziehen und nach Indien leiten. Dies hat aber viel mit Wunschdenken zu tun, weil dafür tiefgreifende Reformen in Indien Voraussetzung sind. Indien hatte schon vor der Coronavirus-Pandemie mit massiven wirtschaftlichen, sozialen und politischen Problemen zu kämpfen. Eine Million neuer Jobs braucht das Land – jeden Monat! Von den Versprechungen eines zweistelligen Wachstums, einer Verdopplung der Wirtschaftsleistung und eines Jobwunders, mit denen Modi seine absolute Mehrheit bei den Wahlen im Mai 2019 noch ausbauen konnte, während die von der Kongresspartei angeführte Opposition nur ca. ein Drittel der Stimmen von Modis Partei erreichte, war schon vor Ausbruch der Pandemie nichts mehr zu sehen.

Indien ist zwar zur drittstärksten Wirtschaftsmacht in Asien aufgestiegen, trotz aller wirtschaftlicher Fortschritte aber nach wie vor ein Land, in dem 90% der arbeitenden Bevölkerung ohne Arbeitsvertrag und Versicherung arbeiten müssen, in dem 650 Mio. Menschen Anspruch auf Lebensmittelrationen haben und in dem in den letzten Jahren viel zu wenig Geld in den dringend erforderlichen Ausbau des Gesundheits- und Bildungssystems sowie der Sozialsysteme geflossen ist. Indien liegt, was den Zugang zu medizinischer Hilfe und Qualität angeht, weltweit auf Rang 145. Das Land gibt nur 1,6% seines BIP für die Gesundheitsversorgung aus. Über 120 Mio. Menschen haben seit dem durch den Corona-Pandemie bedingten Shutdown der Wirtschaft ihre Arbeit verloren, ohne Einkommen blieb ihnen nichts, als sich mit ihren Habseligkeiten in ihre Heimatdörfer aufzumachen, wo sie keinerlei wirtschaftliche Zukunft haben.

Statt diese immer offener zutage tretenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme politisch entschieden zu bekämpfen, untergräbt Modi mit seiner rechtsnationalistischen Partei – Bharatiya Janata Party (BJP) – schrittweise den säkularen Charakter der indischen Verfassung. Indien ist trotz der mit der Erlangung der Unabhängigkeit nach dem 2. Weltkrieg erfolgten Teilung der ehemaligen britischen Kolonie in Indien und Pakistan und einem Bevölkerungsaustausch nach Religionen nach wie vor ein multi-ethnisches und multi-religiöses Land. In Indien leben heute annähernd so viele Muslime wie im muslimischen Pakistan. Nach der Unabhängigkeit Indiens widersetzte sich Indiens erster Ministerpräsident, Jawaharlal Nehru, dem massiven innenpolitischen Druck, das Land zu einer Hindu Rashtra (Nation der Hindus) zu erklären, Indien wurde zu einer demokratischen Republik. Der säkulare Charakter der indischen Verfassung wurde durch Indira Ghandi 1976 mit einer Änderung der Präambel, in die neben dem Begriff »sozialistisch« auch der Begriff »säkular« aufgenommen wurde, explizit festgeschrieben. Die säkulare Verfassung war eine der politischen Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufstieg Indiens zur drittgrößten Volkswirtschaft Asiens.

Mit dem Niedergang der säkularen indischen Parteien und dem rasanten politischen Aufstieg der Hindu-Nationalisten bis hin zur Übernahme der politischen Macht im gesamten Land wird der säkulare Charakter der indischen Gesellschaft zusehends ausgehöhlt. Ziel der rechtspopulistischen und religiös eingefärbten Strategie Modis und seiner Partei ist die Unterwerfung der rund 200 Mio. Muslim*innen und anderer Minderheiten. Im indischen Alltag kommt es immer mal wieder zu vereinzelten Angriffen auf Angehörige der muslimischen Glaubensrichtung, denen teilweise die Misshandlung oder Schlachtung heiliger Kühe vorgeworfen wird. Ende 2019 verabschiedete die Regierung ein neues Staatsbürgergesetz, das Muslime bestimmter Länder von der Erlangung der indischen Staatsbürgerschaft faktisch ausschließt, was zu blutigen Ausschreitungen in Randgebieten Delhis führte.

In der mehrheitlich von Muslimen bewohnten und zugleich spannungsgeladenen Region Kaschmirs hob die indische Regierung im August 2019 die Teil-Autonomie dieser Region auf. Genau ein Jahr später wurde mit dem – von Modi geschickt in eine religiöse Eröffnungszeremonie eingekleideten – Bau des Rama-Tempels im nord-indischen Bundesstaat Uttar Pradesh begonnen. Damit setzte er ein deutliches Hindu-Symbol gegen die muslimische Minderheit. Denn der Bau des Hindu-Tempels findet auf einem Grundstück statt, auf dem 1993 fanatische Hindus eine im 16. Jahrhundert von den damaligen muslimischen Herrschern gebaute Moschee abgerissen haben. Bei den anschließenden Unruhen kamen seinerzeit 2.000 Menschen, mehrheitlich Muslim*innen, ums Leben. Der Hass zwischen Hindus und Muslimen wurde durch die 200-jährige britische Kolonialherrschaft vermittels einer Politik des »Teile und Herrsche« gezielt gefördert.

In der jetzt von einer massiven wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Krise gekennzeichneten und von wachsenden religiös eingefärbten innenpolitischen Konflikten überlagerten politischen Situation in Indien spitzt sich zugleich der Konflikt mit China zu.

Dabei ist die indische Wirtschaft stärker von China abhängig als umgekehrt. Setzten beide Länder ihren Handel aus, würde China 3% seines Exportmarktes und 1% seiner Einfuhr verlieren. Indien aber verlöre 5% seiner Ausfuhr und 18% seiner Einfuhr. Mit Computerchips, Plastiktassen oder Grundstoffen für Kopfschmerztabletten im Wert von 65 Mrd. US-Dollar haben chinesische Unternehmen auch Europa als größten Lieferanten verdrängt. Chinas Direktinvestitionen in Indien liegen bei 26 Mrd. US-Dollar.

Als chinesische Wirtschaftsriesen wie Alibaba und Tencent die abgestürzten indischen Börsenkurse zu Beginn der Pandemie nutzten, um sich an zehn der wichtigsten 30 neuen Technologiefirmen zu beteiligen, reagierte die indische Regierung mit einem Investitionsgesetz, das chinesische Firmen ausschloss. Gleichzeitig gab die indische Regierung dem Druck der indischen Bevölkerung nach und verbot 59 chinesische Apps in Indien, unter ihnen TikTok, das allein in Indien rund 200 Mio. Nutzer*innen zählt. Modis überaus ehrgeizige Vision, Indiens Export in nur fünf Jahren auf eine Bio. US-Dollar zu verdreifachen, wird sich ohne intensive wirtschaftliche Kooperation mit China nicht verwirklichen lassen.

Gleichzeitig kam es auf dem »Dach der Welt« zu neuen Grenzkonflikten mit China, die aber wegen ihres hohen Eskalationsrisikos und weitreichender geo-politischen Folgen von beiden Seiten schnell wieder eingefroren wurden. Hier lauert aber bei Zunahme der wirtschaftlichen Probleme und Konflikte auch das Potenzial für neue, weitaus schärfere militärische Auseinandersetzungen. Und zwischen Indien und Pakistan bestehen schon seit Langem massive politische Spannungen.

 

Trumps Generalangriff auf chinesische High-Tech-Unternehmen

Mit der verstärkten wirtschaftlichen Kooperation mit Pakistan und Iran baut, wie bereits erwähnt, Peking sein Projekt »Belt and Road Initiative« (BRI) weiter aus und gewinnt geo-politisch weiter an Gewicht im Nahen und Mittleren Osten. Gleichzeitig unterläuft China mit der engen wirtschaftlichen und militärischen Kooperation mit Iran das harte Sanktionsregime und die Politik des »maximalen Drucks« der USA gegenüber dem Iran.

Die offene Herausforderung der USA durch die chinesische Außenpolitik geschieht in einer Phase der innenpolitischen Schwächung der Trump-Regierung durch die mit der Pandemie massiv verschärfte und andauernde wirtschaftliche Krise, durch das widersprüchliche und in der Summe miserable gesundheitspolitische Krisenmanagement sowie die schlechten Umfragewerte Trumps im Vergleich zu seinem demokratischen Herausforderer um das Präsidentenamt, Joe Biden. [2]

»Handelskriege sind leicht zu gewinnen«, tönte der US-Präsident früher. Doch am Ende seiner ersten Amtszeit ist von dieser zentralen Dimension seiner »America First«-Politik nicht viel übrig geblieben: Der groß angekündigte Pakt mit China liegt ebenso auf Eis wie das angestrebte Industriezollabkommen mit der EU.

Die innen- wie außenpolitisch in die Defensive geratene Trump-Administration versucht stattdessen mit allen Mitteln die Wachstumsstrategie Chinas und die Ausdehnung seines geo-politischen Einflusses einzudämmen und knüpft dazu einerseits an die in der amerikanischen Bevölkerung tief verankerten Vorurteile über die angeblich bestehende »gelbe Gefahr« (»China-Virus« etc.) an, andererseits greift sie tief in die ideologische Mottenkiste des Kalten Krieges. Mit dem gerade angekündigten »Clean-Network-Programm« zielt die Trump-Administration nicht nur auf massive Wettbewerbsbeschränkungen gegenüber dem IT-Konzern Huawei und der Videoplattform TikTok, sondern gegenüber der gesamten chinesischen High-Tech-Branche, um einen Zugriff chinesischer Behörden auf amerikanische Daten, einem »neuen Werkzeuge der Kommunistischen Partei«, zu verhindern. Das »Clean-Network-Programm« umfasst fünf neue Elemente (FAZ vom 7.8.2020):

  • China Telecom und drei weiteren Telefongesellschaften soll die Erlaubnis entzogen werden, Telekommunikation zwischen den USA und anderen Ländern zu vermitteln.
  • Amerikanische App-Stores sollen chinesische Apps wie TikTok oder WeChat entfernen.
  • Umgekehrt sollen auch Apps amerikanischer Unternehmen nicht mehr auf chinesischen Smartphones und Tablets genutzt werden können, was sich vor allem gegen den Huawei-Konzern richtet.
  • Sensible Daten sollen nicht mehr in von chinesischen Firmen betriebene Datenspeicher ausgelagert werden, was sich vor allem gegen Alibaba, Tencent, Baidu und weitere Firmen richtet.
  • Es soll verhindert werden, dass China die Tiefseekabel anzapft und Daten abschöpft.

Die USA verschärfen damit massiv den Handelskrieg gegen China vor allem auf der Ebene der Plattform- und Digital-Ökonomie. Man mag diesen Generalangriff der Trump-Regierung als Aufstellung zum letzten Gefecht vor ihrer Abwahl deuten, aber erstens ist deren Abwahl keineswegs sicher, und zweitens dürfte auch der demokratische Bewerber um das Präsidentenamt im Falle seiner Wahl die von der Trump-Regierung aufgebaute Frontstellung der USA gegen China im Kern fortsetzen.

 

Deutschland verstärkt im Visier des US-Sanktionsdrucks

Indem China eine andere Iran-Politik verfolgt, ist Europa mit seiner bisherigen hilflosen außenpolitischen Strategie des Abwartens vollends ins Hintertreffen geraten.

Gleichzeitig erhöht die Trump-Regierung den Druck vor allem auf Deutschland, sich stärker in die Allianz gegen China und Russland einzureihen. Nach diversen – auch parteiübergreifenden – Sanktionsdrohungen der USA gegen Nord Stream 2 wurden jetzt drei US-Senatoren aktiv: Sie haben dem Betreiber des Fährhafens Sassnitz in Mecklenburg-Vorpommern in einem Brief wegen seiner Rolle beim Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2, die die USA vor allem aus wirtschaftlichem Egoismus (Verkauf ihres verflüssigten Gases) mit allen Mitteln verhindern wollen, mit schweren Sanktionen gedroht. Deutsche Politiker*innen haben das Vorgehen der USA scharf zurückgewiesen.

Die Bundesregierung zeigt sich bisher zu der von den USA geforderten massiven Frontstellung gegen Russland und vor allem gegen China nicht bereit, hinsichtlich China schon allein nicht wegen der hohen Bedeutung des chinesischen Absatzmarktes für die Premium-Hersteller der deutschen Autoindustrie, die in Deutschland und Europa massive Absatzverluste hinnehmen mussten und nur langsam wieder an Fahrt gewinnen. Aber auch wenn es im November zu einem Wechsel in der US-Präsidentschaft kommen sollte, wird die Gretchenfrage deutscher und europäischer Außenpolitik – »Wie halten wir es in der Zukunft mit den Beziehungen zu China und den USA« – auf dem Tisch bleiben.

Auch ein Joe Biden als neuer US-Präsident wird die Frontstellung gegenüber China nicht grundsätzlich aufgeben, weil China aus US-Sicht zu einer Bedrohung der wirtschaftlich-technologischen, geo-militärischen und damit auch geo-politischen Vorherrschaft der USA geworden ist. Fakt ist, dass die hegemoniale Position der USA schon längst vor der Coronavirus-Pandemie in einen Erosionsprozess geraten ist.[3] Gerade in einer solchen geo-politischen Gemengelage liegt ein hohes Eskalationsrisiko von Konflikten.

Noch kann sich die Bundesregierung mit Beziehungsstrukturierungs-Formeln wie China als politischer Partner, wirtschaftlicher Konkurrent und strategischer Rivale begnügen. Der Druck des erodierenden US-Hegemon, die Ebene der systemischen Konkurrenz zulasten der anderen Beziehungsebenen in den Vordergrund zu stellen und dafür auch wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen, wird zunehmen, und Deutschland und die EU sich stärker durch eine klare Entscheidung positionieren müssen.

Das zukünftige Verhältnis zu den USA und China wird voraussichtlich auch eine bedeutende Rolle im Bundeswahlkampf 2021 spielen. Der Partei DIE LINKE ist zu empfehlen, sich frühzeitig darauf einzustellen und sich entsprechend inhaltlich außenpolitisch aufzustellen.

 

[1] Rainer Herrmann, Eine nahöstliche Seidenstraße?, FAZ vom 28.7.2020.
[2] Siehe hierzu auch: Joachim Bischoff, »Damit der Kapitalismus für alle Amerikaner funktioniert«, in: Sozialismus.deAktuell vom 9.8.2020.
[3] Siehe hierzu auch meine Ausführungen in Sozialismus.de Nr. 7/8 2020, »Auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung?«

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