11. November 2020 Otto König/Richard Detje: UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen tritt in Kraft

Neues Kapitel für die nukleare Abrüstung

Foto: ICAN Germany

Die weltweite Kampagne zur Ächtung von Atomwaffen hat einen Etappensieg errungen: Mit Honduras hat das 50. Land den UN-Vertrag zum weltweiten Verbot atomarer Massenvernichtungswaffen ratifiziert. Damit wird das Atomwaffenverbot am 22. Januar 2021 universell gültiges Völkerrecht.

Der Vertrag, im Juli 2017 von der UN-Vollversammlung mit den Stimmen von 122 Staaten verabschiedet, stelle eine »bedeutende Verpflichtung hin zu einer kompletten Elimination von Nuklearwaffen« dar, sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Der Vertrag verbietet den Einsatz, die Entwicklung, Produktion und Lagerung von Atomwaffen sowie die Drohung mit deren Einsatz.

Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), ein Bündnis aus mehr als 500 Organisationen, das 2017 den Friedensnobelpreis erhalten hat, initiierte das Abkommen und setzte es gegen den massiven Widerstand der USA, Deutschlands und anderer Staaten durch. ICAN würdigte den »historischen« Schritt als »ein neues Kapitel für die nukleare Abrüstung«.

Allerdings hat der Vertrag vor allem Symbolkraft, denn Atommächte wie die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich sowie Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea sind nicht beigetreten, während die Länder, die ihn unterzeichnet und ratifiziert haben, gar keine Atomwaffen besitzen. Die Befürworter des Abkommens setzen dennoch darauf, dass dieses einen starken Druck entfalten werde, atomar abzurüsten.

Die Nuklearmächte begründen ihre Ablehnung eines Vertrags-Beitritts u.a. mit dem Argument, ihre Arsenale hätten eine abschreckende Wirkung und verweisen zugleich auf ihre Zugehörigkeit zum Atomwaffensperrvertrag. So hatte die Trump-Administration in Washington jüngst noch zahlreiche Vertragsstaaten schriftlich aufgefordert, ihre Ratifikation rückgängig zu machen, mit der Begründung, ein weltweites Verbot von Atomwaffen schwäche den seit 1970 bestehenden »Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag« (NPT), der jedoch nur die Weitergabe dieser Massenmordinstrumente untersagt. Indien, Pakistan und Israel gehören allerdings diesem NPT-Vertrag gar nicht an und Nordkorea ist im Jahr 2003 ausgestiegen.

Auch die NATO-Staaten, inklusive Deutschland, boykottieren den UN-Verbotsvertrag, weil dieser der nuklearen Abschreckungsstrategie des atlantischen Bündnisses und dem eventuellen Einsatz von Atomwaffen widerspreche. Deshalb sei ein Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbot nicht vereinbar mit der Mitgliedschaft in der NATO, behauptet die schwarz-rote Große Koalition. Die Bundesregierung hatte im Oktober 2016 sogar versucht, mit ihrem Votum in der UN-Vollversammlung die offizielle Aufnahme von Verhandlungen über das Abkommen zu verhindern.

Ihren Willen zur atomaren Kriegführung bekundeten die NATO-Verteidigungsminister in einem »streng geheim(en)« Papier bei ihrem Treffen Mitte Juni in Brüssel, so der FAZ-Korrespondent Thomas Gutschker. Dieses sieht vor, künftig mit allen »defensiven und offensiven Fähigkeiten« der NATO »von der Raketenabwehr bis zu nuklearen Erstschlägen« zu operieren. Darüber hinaus behalte sich das Bündnis vor, konventionell bestückte Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren, die bei Bedarf jederzeit »nuklear aufgerüstet werden« könnten.

Bei diesem Papier, das von US-General Tod D. Walters, dem NATO-Oberbefehlshaber in Europa, erstellt wurde, spielen offenbar US-Pläne eine Rolle, mit Atomwaffen geringerer Sprengkraft bei Bedarf einen angeblich »begrenzten« Nuklearkrieg führen zu können. Fakt ist: Die im Februar 2018 veröffentlichte US-Nuklearstrategie (»Nuclear Posture Review«) verlangt die Fähigkeit zum Führen eines angeblich begrenzten Nuklearkriegs mit Atombomben von vergleichsweise niedriger Sprengkraft.

Es geht darum, Kernwaffen auf regionalen Schlachtfeldern einzusetzen, ohne zu einem umfassenden Vernichtungsschlag ausholen zu müssen. Legitimiert werden diese Pläne mit der angeblichen russischen Strategie der »Eskalation zur Deeskalation«, deren Existenz auch von westlichen Experten bezweifelt wird. Im Übrigen: Der angeblich »begrenzte« Nuklearkrieg gegen Russland fände auf europäischem Territorium statt.

Teil dieser Strategie sind seit geraumer Zeit die gemeinsamen Bemühungen der Washingtoner Administration und der Bundesregierung, die in der rheinland-pfälzischen Eifel-Gemeinde Büchel rund 20 eingelagerten alten Atombomben des Typs B61 durch neue vom Typ B61-12 mit geringerer Sprengkraft zu ersetzen, was die Hemmschwelle zum Nuklearkrieg senkt. Die deutschen Tornado-Kampfjets, die die Bomben transportieren und abwerfen sollen, sollen durch neue Kampfjets ersetzt werden. Dazu ist von der Oberbefehlshaberin der Bundewehr, Annegret Kramp-Karrenbauer, die Beschaffung von 45 US-Kampfjets vom Typ F18 (F/A-18) der US-amerikanischen Rüstungsschmiede Boeing geplant, deren Kosten »selbst nach einer konservativen Schätzung« auf »zwischen 7,7 und 8,8 Milliarden Euro« beziffert werden.

Angesichts der weltweiten Corona-Pandemie sind diese Rüstungsausgaben für die Anschaffung der zum Transport von Atomwaffen geeigneten Kampfflugzeuge unverantwortlich. Würde man die angenommenen 7,7 Mrd. Euro ins deutsche Gesundheitssystem investieren, könnte man damit in einem Jahr 100.000 Intensivbetten, 30.000 Beatmungsgeräte sowie die Gehälter von 60.000 Krankenpfleger*innen und 25.000 Ärzt*innen finanzieren, so eine Rechnung der »Internationalen Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges«.

Mit ihrer hartnäckigen Weigerung, dem UN-Vertrag zum weltweiten Verbot atomarer Massenmordwaffen beizutreten, untermauert die Bundesregierung die Vermutung, dass sie sich die Option auf eine Mitverfügung Deutschlands über Atomwaffen im Rahmen einer künftigen gemeinsamen atomaren Abschreckungskapazität der EU offenhalten will. Die Teilhabe sei ein »wichtige(r) Bestandteil einer glaubhaften Abschreckung« der NATO, so lautete die Antwort der Bunderegierung im September auf eine Anfrage der Fraktion Die LINKE im Bundestag.

Diese rüstungspolitische Positionierung ist Teil des sogenannten »Münchner Konsens«, den der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014 artikulierte: Deutschland sei bereit, international »mehr Verantwortung« zu übernehmen und wolle sich »früher, entschiedener und substanzieller einbringen«.

Sechs Jahre später lässt sich feststellen: Deutschland hat sein außen- und sicherheitspolitisches Engagement in vielen Bereichen verstärkt. Es beteiligt sich an militärischen Operationen im Rahmen der UN, EU und NATO und ist mit militärischen Kräften an der Ostflanke des Bündnisses präsent. »Das Rüstungsbudget stieg von 24,3 Mrd. Euro (2000) auf 43,2 Mrd. (2019) deutlich an. Im Entwurf des Bundeshaushalts 2021 sind im Einzelplan des BMVg Ausgaben von über 45,6 Mrd. Euro veranschlagt, damit liegen die für das Jahr 2021 vorgesehenen Ausgaben rd. 1,6 Mrd. Euro über dem bislang geltenden Finanzplan. (…) Hinzu kommen rd. 3,73 Mrd. Euro zusätzliche Mittel aus dem Konjunktur- und Zukunftspaket bis zum Jahr 2024 (davon rd. 1,2 Mrd. in 2021).«[1]

Noch im September 2020 hatten Sophia Becker und Torben Schütz von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) alarmistisch im Tagesspiegel gewarnt, die bisherige »positive Dynamik« in Sachen Militärausgaben drohe »durch die Auswirkungen von Covid-19« womöglich »zum Stillstand zu kommen oder gar umgekehrt zu werden«, so Jürgen Wagner von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI). Das Gegenteil ist eingetreten: Die deutsche Rüstungsindustrie kann sich trotz Covid-19-Pandemie die Hände reiben.

Die »nukleare Teilhabe hat bereits in Friedenszeiten Auswirkungen: Piloten der Luftwaffe der Bundeswehr trainierten im Oktober im Rahmen des Manövers ›Steadfast Noon‹«[2] mit NATO-Partnern die Verteidigung des Bündnisgebiets mit Atomwaffen. Zusammen mit belgischen, niederländischen und italienischen Kampfjets wurden die Abläufe geübt, die durchgeführt werden müssen, wenn im Rahmen der sogenannten Nuklearen Teilhabe US-Atombomben an ihr Einsatzziel transportiert und dort abgeworfen werden sollen. Es wurden der Transport der Bomben aus den unterirdischen Lagern zu den Kampfjets und ihre Anbringung an diesen durchexerziert. Die Manöverflüge wurden jedoch ohne Bomben durchgeführt.

Die internationale Beteiligung ist auch deshalb von Interesse, da je 20 US-Atombomben, außer in Büchel, auch auf Militärflugplätzen in Belgien (Kleine Brogel), in den Niederlanden (Volkel) und in Italien (Ghedi, Aviano) stationiert sein sollen. Zudem sollen 50 US-Atombomben auf der türkischen Luftwaffenbasis İncirlik gelagert sein.

»Atomwaffen sind sittenwidrig, verletzten Gesetze und müssen verboten werden«, mahnte Beatrice Fihn, Direktorin von ICAN, kurz vor der Ratifizierung des UN-Vertrages durch Honduras in Genf. In einem Atomkrieg gebe es keine Chance, »die Kurve abzuflachen«, sagte sie in Anspielung an den Kampf gegen das Corona-Virus.

Tatsächlich ist die Gefahr eines auch mit Atomwaffen geführten Krieges aktuell deutlich höher als in den vergangenen drei Jahrzehnten. Ein Grund dafür ist die einseitige Kündigung des seit 1988 geltenden INF-Vertrages zum Verbot von landgestützten Mittelstreckenwaffen durch die USA im Sommer 2019.[3] Damit wurde eine zentrale Säule der atomaren Rüstungskontrolle und damit ein Grundpfeiler der internationalen Sicherheitsarchitektur zerstört.

Militärexperten rechnen damit, dass es zu einem neuen Rüstungswettlauf kommt, der weitaus gefährlicher werden könnte als der in den 1970/80er Jahren. Schon jetzt arbeiten die US-amerikanischen Waffenschmieden an einem neuen mobilen bodengestützten Mittelstreckenraketensystem, das in Zeiten des INF-Vertrags illegal gewesen wäre. Nach derzeitiger Planung soll es ausschließlich konventionelle – das heißt nichtatomare – Sprengköpfe transportieren. Ob es dabei bleibt, ist mehr als fraglich. Friedenspolitisch hat das militärische Säbelrasseln der letzten Jahre die Konflikte mit Russland und zunehmend mit China weiter verschärft.

Anmerkung

[1] Jürgen Wagner: Rüstung in Zeiten der Pandemie, IMI-Standpunkt 2020/055.
[2] Geheime Atomwaffenübung »Steadfast Noon«, Bundeswehr-Journal, 14.10.2020.
[3] Siehe auch: Otto König/Richard Detje: INF-Vertrag – Donald Trump zerstört »zentrale Säule der atomaren Rüstungskontrolle«. Neuer Raketenwettlauf, Sozialismus de. Aktuell, 13.8.2019.

Zurück