2. November 2019 Joachim Bischoff/Bernhard Müller

Was bringt ein »nationaler Transformationsfonds«?

Die öffentliche Infrastruktur in Deutschland ist in schlechtem Zustand. Das Ausmaß des Verfalls ist unter Expert*innen umstritten. Investitionen sind das Fundament für Wachstum und Beschäftigung: Moderne Straßen, schnelles Internet, attraktive Schulen, Berufsschulen und Hochschulen sowie gute Rahmenbedingungen für private Investitionen sichern Wohlstand und Arbeitsplätze – auch für künftige Generationen.

Dem stagnierenden Kapitalstock der Kommunen, auf die allerdings 55% des staatlichen Anlagevermögens entfallen, stehen durchgehende Anstiege beim Kapitalstock von Bund und Ländern gegenüber.

Gleichwohl kann eine bloße Reproduktion des öffentlichen Kapitalstocks nicht wegdiskutiert werden und diese Stagnation bei den öffentlichen Investitionen wirft die Frage auf: Programmiert diese bloße Fortschreibung letztlich nicht einen ökonomisch-sozialen Verfall der »Berliner Republik«?

Um eine Unterentwicklung des öffentlichen Kapitalstocks und damit der Zukunftsfähigkeit des Landes zu stoppen, müsste deutlich mehr investiert werden. Alleine für die Herstellung eines mit anderen entwickelten kapitalistischen Ländern vergleichbaren Standards der Infrastruktur sind Investitionen in der Größenordnung von über 100 Mrd. Euro erforderlich.

Die aktuelle kapitalistische Produktionsweise stößt mehr und mehr an planetaren Schranken. Nur eine Investitionsinitiative kann Wirtschaft und Gesellschaft von der Belastung durch schädliche Treibhausgase befreien. Hinzu kommt, dass die sozialen Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Pflege), humanes, bezahlbares Wohnen und die öffentliche Infrastruktur nicht mehr den Mindeststandards sowie den Ansprüchen der Mehrheit der Bevölkerung entsprechen. Mit einer bloßen Reproduktion des öffentlichen Kapitalstocks können in Deutschland weder zukunftssichere Produktionsstrukturen noch angemessene Lebensbedingungen hergestellt werden.

Auch aus den Reihen der kapitalistischen Wirtschaft kommt neuerdings die Forderung nach einem neuen Kapitel in der Wirtschaftspolitik: 450 Mrd. Euro – so viel müsste der deutsche Staat in den kommenden zehn Jahren zusätzlich ausgeben, um bestehende Investitionslücken zu schließen und die ökologische Transformation zu bewältigen. Andernfalls drohe sich der Verfall des öffentlichen Kapitalstocks, also von Straßen, Schienen und Schulen, aber auch durch schädliche Produktionsstrukturen ungebremst fortzusetzen. So das Institut der deutschen Wirtschaft (IW).[1]

Es bleibt nicht bei der Klage über die tendenzielle Rückständigkeit. Über einen auf zehn Jahre konzipierten »Deutschlandfonds« sollen jährliche Mehrausgaben von 45 Mrd. Euro finanziert werden. Das sei mit einer zehnjährigen Bundesanleihe »ohne Zinslast attraktiv finanzierbar«, so Michael Hüther, Ökonom und langjähriger Direktor des IW.

Der akute Investitionsbedarf in Deutschland gelte für private wie öffentlichen Investitionen. Die Behinderung unternehmerischen Handelns durch mangelhafte oder sogar fehlende Infrastruktur sei vielfach belegt. 80 Mrd. Euro öffentliche Investitionen im Jahr sind nur 2,4% der Wirtschaftsleistung, während die USA mehr als 3% und Japan und Australien knapp 5% aufwenden. Der deutsche Staat investierte 2018 in etwa so viel wie Frankreich, das deutsche BIP liegt allerdings um über 42% höher als das französische.

Für die wirtschaftliche Dynamik seien, so das IW, zwar neben der öffentlichen Infrastruktur auch andere Standortmerkmale wie Bildung und Forschung wichtig. Aber eine so industriebasierte Volkswirtschaft wie die deutsche habe andere Erfordernisse als Länder mit reiner Dienstleistungsorientierung. Deshalb wurde in der »Berliner Republik« in Relation zu anderen entwickelten Volkswirtschaften deutlich zu wenig zur Entwicklung des staatlichen Nettokapitalstocks getan. Von 2005 bis 2015 konnte das Niveau des Kapitalstocks nicht gesichert werden, der Modernitätsgrad ist fortlaufend gesunken und die Nutzungsintensität hat besonders im Infrastrukturbereich zugenommen.

Deutschland tritt beim öffentlichen Kapitalstock seit vielen Jahren auf der Stelle. Mit Blick auf Kommunen und Länder – allein die Kommunen stehen für 55% des staatlichen Kapitalstocks –, sei der »Modernitätsgrad im Bereich Nichtwohnungsbau« sogar seit Anfang der 1990er Jahre kontinuierlich gesunken. Der Hauptgrund ist die miserable Finanzlage, vor allem in den westlichen Bundesländern. Während bayerische Kommunen rund 15% ihrer Gesamtausgaben in Bauprojekte steckten, sind es in Nordrhein-Westfalen gerade einmal 4,5%.

Allein im kommunalen Bereich fehlen 138 Mrd. Euro zur Sanierung maroder Schulen, Straßen und Brücken. Kommunale Altschulden von 43 Mrd. Euro kommen hinzu. Beim Wohnungsbau fehlen jährlich 15 Mrd. Euro, bei Bildung und Forschung 35 Mrd. Euro. Hinzu kommen zusätzliche Bedarfe bei Klimaschutz und digitaler Infrastruktur.

Nach Berechnungen des IW summiert sich der Investitionsmehrbedarf allein auf kommunaler Ebene auf insgesamt 161 Mrd. Euro. Darin enthalten sind weitere 23 Mrd. Euro für den Ausbau von Bus und Bahn. Zweitgrößter Posten ist die überregionale Infrastruktur: Zusätzliche 60 Mrd. Euro für die Bahn, knapp 30 Mrd. Euro für den Breitbandausbau, 20 Mrd. Euro für Autobahnen. Rund 80 Mrd. Euro Mehrbedarf braucht es nach den Berechnungen des IW für frühkindliche Bildung, Ganztagsschulen sowie Hochschulen und Forschung. Den 450-Mrd.-Euro-Topf komplettieren schließlich 65 Mrd. Euro für den Klimaschutz sowie 10 Mrd. Euro für den Wohnungsbau.

Wegen der Schuldenbremse ist es den Ländern allerdings vom kommenden Jahr an untersagt, neue Kredite aufzunehmen. Das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut, früher als Verfechter der Schuldenbremse bekannt, rückt jetzt zumindest teilweise von dieser Position ab, denn die Schuldenbremse habe sich mehr und mehr zur Investitionsbremse entwickelt. Um die grundgesetzliche Verankerung der Schuldenbremse zu umgehen, schlägt des IW deshalb die Auflegung eines »Deutschlandfonds« vor. Da der Bund in beschränktem Maße Schulden aufnehmen darf, sei ein »föderaler Investitionshaushalt«, als selbständige Person des öffentlichen Rechts und in vollständigem Eigentum des Bundes konform mit Verfassung und dem Vertrag von Maastricht.

Die in diesem Fonds von Bund und Ländern gemeinsam definierten Investitionen in Höhe von 450 Mrd. Euro ließen sich in einem Zeitraum von zehn Jahren umsetzen. Kurzfristig steigere das »Investitionsprogramm die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage und löst einen Multiplikatorprozess aus, sodass die gesamtwirtschaftliche Leistung bereits im ersten Jahr nach Beginn der Umsetzung um gut 1% den Wert im Basisszenario übersteigt. Dieser positive Impuls auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Die deutsche Industrie befindet sich seit über einem Jahr in einer Rezession und auch die gesamtwirtschaftliche Aktivität dürfte im dritten Quartal 2019 in eine technische Rezession rücken, nachdem das preis- und saisonbereinigte BIP im zweiten Quartal bereits rückläufig war.«

Die langfristigen Effekte aus der Umsetzung des Investitionsfonds resultieren sowohl aus dem direkten Anstieg der staatlichen Investitions- als auch aus dem Anstieg der privaten Investitionstätigkeit. »Die sich ergebende Zunahme des gesamtwirtschaftlichen Kapitalstocks steigert das Produktionspotenzial und kommt künftigen Generationen zugute.« Zugleich sinke der umstrittene deutsche Überschuss in der Leistungsbilanz.

Dies zeige, so das IW, »dass sich ein wachstumsorientiert mutiges Investitionsprogramm im Sinne des Deutschlandfonds mit 450 Milliarden Euro mehrfach auszahlt: Es stabilisiert auch die konjunkturelle Situation, wobei der Effekt sich festigender Erwartungen seitens der privaten Akteure kurzfristig noch nicht abbildet. Es erhöht den Wachstumsspielraum, was Verteilungskonflikte mindern lässt in einer Zeit beträchtlicher klimapolitischer Herausforderungen.« Das mildere den internationalen politischen Druck hinsichtlich des hohen deutschen Leistungsbilanzüberschusses.

Dieser vom IW vorgeschlagene »Deutschlandfonds« ist, was z.B. die Bereiche Wohnen und Klimawandel betrifft, eindeutig zu gering dimensioniert. Was zudem fehlt sind Maßnahmen zur Abfederung und Steuerung des disruptiven Transformationsprozesses (Dekarbonisierung, Digitalisierung) von Industrie und Dienstleistungsbereich. Hinzukommen müssen auch Maßnahmen zum Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen (Gesundheit, Pflege, Bildung) sowie die Erhöhung des Niveaus der sozialen Mindestsicherungsleistungen.[2]

Dem Zusammenfallen einer grundlegenden Funktionsstörung der kapitalistischen Produktionsweise mit der sich abzeichnenden Disruption bei den gesellschaftlichen Produktivkräften (Fossile Energie, Digitalisierung) sowie der Zerstörung des Stoffwechsels zwischen Natur und kapitalistischen Gesellschaften kann nur durch eine Neuauflage eines New Deal wie in der ersten Großen Weltwirtschaftskrise begegnet werden.

Die britische Labour Party stellt eine solche Konzeption eines linken Green New Deals in den Mittelpunkt des Wahlkampfes im Vereinigten Königreich. Es geht um die Einrichtung eines nationalen Transformationsfonds. Über diesen soll die brüchige Infrastruktur mit 250 Mrd. Pfund für öffentliche Investitionen in Energie, Wohnen und Verkehr auf einen aktzeptablen Stand gebracht werden. Und über eine Nationale Investitionsbank will man weitere 250 Mrd. Pfund als Kredite an Unternehmen und Genossenschaften zur Verfügung stellen, um auch die privatkapitalistische Ökonomie wieder in Schwung zu bringen.[3]

Die Verwirklichung eines solchen Transformationsfonds und einer Investitionsbank ist mit den gegebenen Ressourcen möglich. Aber zugleich wird damit auch die Frage des Eingriffs in die Verteilungsverhältnisse aufgeworfen, ohne die eine solche »große Transformation« dauerhaft nicht zu haben sein wird. Dabei wird das Institut der deutschen Wirtschaft – ebenso wie andere Wirtschaftsverbände – wohl nicht mitmachen.

Anmerkungen

[1] Michael Hüther/Galina Kolev, Invesitionsfonds für Deutschland, IW-Policy Paper 10/19.
[2] Siehe hierzu ausführlicher Redaktion Sozialismus, Nachhaltigkeitsrevolution und Green New Deal, in: Sozialismus.de, Heft 10/2019.
[3] Ausführlicher dargestellt von Hinrich Kuhls, Neuer Gesellschaftsvertrag statt sozialer Spaltung. Zur Programmdebatte in der Labour Party, in: Sozialismus.de, Heft 11-/2019

Zurück