Trumps Triumph?
Dienstag, 21. Januar 2025 | Berlin | 19:00 Uhr | RLS, Straße der Pariser Kommune 8A (auch Online)
Ingar Solty wird im Gespräch mit der Professorin für Politikwissenschaft Margit Mayer die Thesen seiner Anfang Februar erscheinenden Flugschrift zu den Folgen der US-Präsidentschaftswahlen vorstellen.

Rudolf Hickel
Schuldenbremse
oder »goldene Regel«?

Verantwortungsvolle Finanzpolitik für die sozial-ökologische Zeitenwende | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-226-4

Christoph Scherrer/
Ismail D. Karatepe (Hrsg.)
Arbeit in der Lieferkette
Miserable Arbeitsbedingungen auf See und in den Häfen
192 Seiten | € 18.80
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Peter Renneberg
Handbuch Tarifpolitik und Arbeitskampf
5., aktualisierte Ausgabe
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ISBN 978-3-96488-224-0

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.)
Gute Arbeit gegen Rechts
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Torsten Teichert
Die Entzauberung
eines Kanzlers

Über das Scheitern der Berliner Politik | Eine Flugschrift
108 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-216-5

22. Dezember 2024 Redaktion Sozialismus.de: IG Metall verhindert Kahlschlag bei VW

Schmerzhafter Kompromiss für sichere Jobs

Nach über 70-stündigen Verhandlungen zwischen Vertreter*innen des Volkswagenkonzern und des IG Metall-Bezirks Niedersachsen-Sachsen-Anhalt sowie des VW-Betriebsrats konnte für Volkswagen am 20. Dezember ein Tarifergebnis erzielt werden. Alle Standorte bleiben erhalten und betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2030 ausgeschlossen. Dafür wurden von der IG Metall schmerzhafte Zugeständnisse gemacht und der Haustarifvertrag an mehreren Stellen verändert.

Am Montag, den 2. September (vom »schwarzen Montag« sprach später der VW-Betriebsrat) hatte der VW-Vorstand sechs Tarifverträge gekündigt und damit einen in der Geschichte des Unternehmens dreifachen Tabubruch begangen: Er setzte Werksschließungen, Massenentlassungen und Angriffe auf den Haustarif auf die Agenda (siehe dazu ausführlich den Beitrag von Frederic Speidel in Heft 10.2024 von Sozialismus.de). Der Haustarif gilt für insgesamt 120.000 Beschäftigten der sechs Standorte (Braunschweig, Emden, Hannover, Kassel, Salzgitter und Wolfsburg) sowie für die VW-Töchter Financial Services, Immobilien und die dx.one GmbH. Hinzu kommen mehr als 10.000 Mitarbeiter bei VW Sachsen, für die 2021 eine Angleichung an den Haustarif vereinbart wurde.

Die Kündigung umfasste zudem den weit über die Unternehmensgrenzen ausstrahlenden »Tarifvertrag zur nachhaltigen Zukunfts- und Beschäftigungssicherung«. Damit wären betriebsbedingte Kündigungen, die es in der Geschichte von Volkswagen noch nie gegeben hat, nach Ablauf der sechsmonatigen Nachwirkung des Tarifvertrags ab dem 1. Juli 2025 möglich gewesen.

Unter Verweis auf die schwierige Lage des Konzerns wurden zudem 10% Lohnkürzung gefordert, das Management deutete die Schließung von bis zu drei Werken an (Dresden, Osnabrück und Emden), auch betriebsbedingte Kündigungen seien nicht ausgeschlossen.

Der Hintergrund: Strukturelle Probleme in der Automobilbranche, eine schwache Nachfrage und hausgemachte Fehler und Versäumnisse belasten den Konzern. Die VW-Unternehmensleitung machte geltend, dass rund 500.000 Fahrzeuge mehr produziert werden müssten, um alle Werke auszulasten, was der Kapazität von zwei Standorten entspräche. Das aber gebe die die Nachfrage in Europa nicht her. Außerdem sei man an einigen deutschen Standorten »doppelt so teuer wie der Wettbewerb«, was vor allem an den Lohnkosten liege. Die Kernmarke VW hätte im ersten Halbjahr nur noch eine Rendite von rund 2% statt der geplanten 6,5% erzielt, damit würden nötige Investitionen in die Digitalisierung, die Elektromobilität und das teilautonome Fahren nicht zu bewältigen.

Nicht zur Sprache kam, dass die Konzernspitze mit den teils kriminellen Methoden der Verschleierung von Abgasemissionen eine Milliarde Euro Geldstrafe und Bußgelder, Schadensersatz und Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 32 Milliarden Euro zu verantworten hat. Außerdem hat das VW-Management – wie das anderer Automobilunternehmen auch – längere Zeit den Übergang in das neue Zeitalter der Elektromobilität verpasst. Der Übergang auf die Neuausrichtung der Produktion wurde verzögert, ein erheblicher Teil der Gewinne wurde im Prozess der verzögerten Anpassung verschleudert. Das Management macht daher den Versuch die Kosten der Umstellung auf die Beschäftigten abzuwälzen.

Die Beschäftigten von VW und ihre Interessenvertreter*innen wollten dagegen mindestens einen Ausgleich für die Kaufkraftverluste durchsetzen. Am Verhandlungstisch war das VW-Management nicht zu einer tragfähigen Lösung des Tarifkonflikts bereit, obwohl die IG Metall hat mit dem Betriebsrat eigene Vorschläge präsentierte und sich bereit zeigte, im Rahmen eines umfassenden Sicherungspakets auch über die befristete Einbringung von Teilen von Entgelterhöhungen in einen Zukunftsfonds zu verhandeln. Dies hat sie daran geknüpft, dass ein solcher Gesamtplan auch Einschnitte von Vorstand, Management und Anteilseignern vorsieht, um Investitionen in die Zukunft von Volkswagen zu ermöglichen. Zudem wurden Perspektiven für alle Standorte sowie eine neue Beschäftigungssicherung gefordert.

Nachdem das Management sich erneut unbeweglich zeigte, hat die IG Metall zweimal zu Großdemonstration vor dem Verhandlungslokal, zu Protestkundgebungen und zwei Warnstreikwellen in allen Werken mobilisiert. Allein am 10.12. gab es 103.000 Teilnehmende. Ohne diese massive Beteiligung, ohne 90% Organisationsgrad in der IG Metall, ohne aktive und professionelle Betriebsräte und Vertrauensleute und ohne den Zusammenhalt der Interessenvertretungen in allen Werken wäre die Abkehr des Vorstandes von seinen drastischen Plänen nicht möglich gewesen.

Dank dieses massiven Druckes konnte nun doch noch eine Einigung erzielt werden, mit der alle neun Standorte bleiben erhalten (auch VW Osnabrück, das nicht zum Haus-TV gehört), dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 31.12.2030 sowie Investitionszusagen und Auslastung aller Werke. Volkswagen hat jedoch angekündigt, die Kapazitäten der Werke herunterzufahren und bis 2030 insgesamt 35.000 Arbeitsplätze abzubauen. Aufgrund des neuen Tarifvertrages wird dieser Prozess ohne betriebsbedingte Kündigungen ablaufen.

Es mussten also Zugeständnisse in Kauf genommen werden, wobei das monatliche Entgelt konstant bleibt, was vor dem Hintergrund von nach wie vor Preiserhöhungen wie demnächst bei den Zusatzkosten für die Krankenversicherung bitter bleibt. Unter anderem haben sich die Tarifvertragsparteien auf folgende Eckpunkte verständigt:

  • Betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2030 ausgeschlossen. Sollte nach Auslauf keine Anschlussregelung vereinbart werden, müsste das Unternehmen eine Milliarde Euro an die Beschäftigten ausschütten.
  • Das zunächst vom Management abgelehnte von der Gewerkschaft präsentierte Zukunftskonzept wird nun doch Anwendung finden. Eine Entkopplung vom Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie konnte im Kern abgewendet werden. Das im November 2024 erreichte Tarifergebnis mit einer tabellenwirksame Erhöhung von gut 5% (siehe dazu die Bewertung von Kerstin D. Klein, Matthias Ebenau und Michael Erhardt in Heft 12-2024 von Sozialismus.de), wird bei Volkswagen jedoch zunächst ausgesetzt. Das zusätzliche Plus dient bis 2030 als Teilfinanzierung von Instrumenten zum Umgang mit Personalüberhängen ohne betriebsbedingte Kündigungen, aus dem zum Beispiel flexibel Arbeitszeitabsenkungen mit teilweisem Entgeltausgleich erfolgen und erweiterte Altersteilzeitangebote finanziert werden können. Ab 1.1.2031 erhöht sich die Entgelttabelle um diese gut 5% real. Bereits ab 2027 können künftige Tarifrunden auch bei Volkswagen für neue Entgeltsteigerungen noch vor 2030 sorgen. Damit üben sich Beschäftigte in einem temporären Verzicht, verhindern damit aber gemeinsam den Kahlschlag an den VW-Standorten und helfen sich solidarisch gegenseitig.
  • Ferner verständigten sich die Tarifvertragsparteien auf eine Überarbeitung des inzwischen jahrzehntealten Entgeltsystems. Die Analyse dafür beginnt im Jahr 2025, zum 1.1.2027 soll eine Umsetzung erfolgen.
  • Ab 2026 bringen die Beschäftigten im Tarifbereich für 2026 und 2027 vollständig die Mai-Zahlung der Ergebnisbeteiligung als Beitrag ein. Ab 2028 wird die Mai-Zahlung nur reduziert ausgezahlt, prozentual aufsteigend, bis die Beschäftigten für das Geschäftsjahr 2030 wieder die volle Ergebnisbeteiligung erhalten.
  • Künftig wird der Tarif Plus-Bonus rund 35% des Jahresbonus der untersten Entgeltgruppe im Management betragen – bislang waren es circa 50%. Dafür konnte ein gänzlicher Angriff Volkswagens auf die Tarif Plus-Systematik abgewendet werden. So müssen auch Management und Vorstände sich in einem größeren Maße finanziell an der Zukunftsfestigkeit Volkswagens beteiligen.
  • Das bisher gezahlte erhöhte Urlaubsentgelt (rund 1.290 €) entfällt. Ab 2027 wird ein Bonus für Mitglieder der IG Metall eingeführt. Außerdem wird die Jubiläumsgratifikation für 25 und 35 Jahre Betriebszugehörigkeit angepasst – Volkswagen wollte diese bis zuletzt komplett abschaffen. Bisher galt: Für 25 Jahre Werkszugehörigkeit gab es das 1,45-Fache eines Monatsentgelts, bei 35 Jahren das 2,90-Fache eines Monatsentgelts. Zukünftig wird es für 25 Jahre Betriebszugehörigkeit eine pauschale Zahlung von 6.000 € und für 35 Jahre von 12.000 € geben.
  • Ferner werden die Arbeitsbedingungen hinsichtlich der Arbeitszeit vereinheitlicht: alle vor dem 1.1.2005 Eingestellten arbeiten ab dem 1.7.2025 einheitlich 35 Stunden pro Woche.
  • Künftig werden 600 Ausbildungsplätze sowie Stellen für dual Studierende an den Standorten des Haustarifvertrags angeboten, Volkswagen wollte hier eine massivere Reduzierung vornehmen. Ferner wurde die gekündigte Übernahmeverpflichtung der Auszubildenden wieder in Kraft gesetzt. Die Auszubildenden erhalten analog dem Flächentarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie ein tabellenwirksames Plus von 140 Euro je Monat, die im März 2025 ausgezahlt wird.
  • Schließlich sichert eine solidarische Werksbelegung für VW-Standorte Arbeit und Produkte in den Regionen. Allerdings bringt die beste Beschäftigungssicherung ohne Produkte und Wertschöpfung auf Dauer nichts, deshalb haben sich IG Metall, Gesamtbetriebsrat und die Volkswagen AG im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen auf einen Fahrplan für die Werksbelegung verständigt (dessen Details in der Print-Ausgabe von Sozialismus.de im Januar ausführlicher dargestellt werden).

Der IG Metall Bezirksleiter, Thorsten Gröger, spricht beide Seiten des schmerzhaften Kompromisses an: »Wir haben in großer Verantwortung nun ein Paket geschnürt, das schmerzliche Beiträge der Beschäftigten beinhaltet, aber im gleichen Atemzug Perspektiven für die Belegschaften schafft. Dabei bringen die Arbeitnehmer temporär tarifliche Bestandteile, wie zum Beispiel Teile der Ergebnisbeteiligung, ein. Für die Zukunft soll das Entgeltsystem modernisiert werden. Im Gegenzug erhalten tausende Familien einen sicheren Zukunftsrahmen und die Kommunen Planbarkeit. Das ist gerade vor dem Weihnachtsfest ein wichtiges Zeichen der Stabilität und Verlässlichkeit. Gleichzeitig darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass der VW-Vorstand seine Hausaufgaben machen muss: Technologieführerschaft mit den besten Modellen, der besten Wertschöpfungskette und weiterhin den besten Beschäftigten.«

Und die Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG, Daniela Cavallo, ergänzt: »Kein Standort wird dichtgemacht, niemand wird betriebsbedingt gekündigt und unserer Haustarifs wird langfristig abgesichert. Mit diesem Dreiklang haben wir unter schwierigsten konjunkturellen Bedingungen eine grundsolide Lösung erkämpft. Zwar gibt es tarifliche Zugeständnisse jenseits der monatlichen Einkommen – dem gegenüber stehen aber der solidarisch erwirkte Erhalt aller Standorte samt Zukunftsperspektiven, eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030 und nicht zuletzt die Gewissheit für den Vorstand, dass bei Volkswagen Veränderungen gegen den Willen der Belegschaft zum Scheitern verurteilt sind.«

Es wird abzuwarten sein, ob die Unternehmensleitung trotz der schmerzlichen Zugeständnisse der Beschäftigten seine »Hausaufgaben« machen wird, wie der Bezirksleiter der IG Metall fordert, und ob das reicht, um im internationalen Wettbewerb auf dem Automobilmarkt auf Dauer zu bestehen.

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