22. Dezember 2019 Joachim Bischoff: Die Faktoren der Konjunkturentwicklung

»Gefahr einer Rezession gebannt« (Altmaier)?

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Der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) glaubt »nicht, dass der amerikanische Präsident ein Jahr vor den Wahlen ein großes Interesse daran hat, einen Handelskrieg mit Europa vom Zaun zu brechen«. Dazu führen die Amerikaner zu gerne deutsche Autos.

»Bislang ist es uns jedenfalls gelungen, eine Eskalation zu vermeiden.« Altmaier stimmt in den verbreiteten Optimismus ein, dass die Schlechtwetterwolken der Konjunktur sich aufgelöst hätten. »Die Gefahr einer Rezession ist gebannt, nicht zuletzt auch dank der gewachsenen Klarheit beim Brexit.« Auch wenn der Aufschwung ein »zartes Pflänzchen« bleibe, helle sich die Stimmung in der Wirtschaft zusehends auf.

Der Wirtschaftsminister folgt der Einschätzung der Bundesbank, die in ihrer Dezemberprognose ebenfalls die Rückkehr zu einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung verkündet. »Die deutsche Wirtschaft wird im Projektionszeitraum ihre gegenwärtige Schwächephase allmählich überwinden. Zwar steigt die Binnennachfrage wohl nicht mehr so dynamisch an wie in der voran gegangenen Hochkonjunktur. Ausschlaggebend hierfür sind, vor allem aufgrund einer deutlich schwächeren Beschäftigungsentwicklung, die realen verfügbaren Einkommen der Haushalte. Die Exporte dürften sich aber nach und nach aus ihrer Stagnation befreien und im Laufe des kommenden Jahres im Einklang mit der Auslandsnachfrage wieder stärker steigen. Damit sollte sich auch die Industrie fangen und die gegenwärtige Zweiteilung der deutschen Konjunktur zurückbilden. Die merklich stützend wirkende Finanzpolitik und die sehr expansive Geldpolitik sorgen für zusätzlichen Auftrieb.

In diesem Szenario dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in kalenderbereinigter Betrachtung im kommenden Jahr wie bereits im laufenden Jahr um lediglich rund ½% zulegen. In den Jahren 2021 und 2022 wächst die Wirtschaftsleistung spürbar stärker. Sie könnte dann um knapp 1½% pro Jahr und damit ähnlich stark wie das Produktionspotenzial steigen. Die gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten dürften nach der zuvor hohen Auslastung im kommenden Jahr in etwa durchschnittlich beansprucht werden. Auch im weiteren Projektionszeitraum bewegt sich die deutsche Wirtschaft im Korridor der Normalauslastung.«

Der Meinungsumschwung in Politik und Medien ist offensichtlich: Im zurückliegenden Jahr 2019 wurde häufig über die Gefahren einer Rezession spekuliert. Jetzt zum Jahreswechsel gehen viele Ökonomen davon aus, dass die Verunsicherung durch die Weltpolitik (Handelsstreit, Brexit) und damit die Krisensorgen wieder etwas schwinden. Schließlich gab es bislang keine großen Übertreibungen im globalen Kapitalaufbau. Und wenn damit kein Platz für private Kreditexzesse war, könne es auch keinen gravierenden Grund für eine Wirtschaftskrise geben.

Es mag ja sein, dass mit dem angekündigten großen Deal zwischen den USA und China die fast zwei Jahre anhaltende Eskalation in den globalen Handelskonflikten in den Hintergrund tritt (siehe hierzu auch den Beitrag »Trump feiert einen ›sehr großen Deal‹ mit China« auf Sozialismus.de). Allerdings ist der Mega-Deal noch längst nicht in trockenen Tüchern. Und auch beim Brexit ist keineswegs ausgemacht, dass das Projekt der Johnson-Regierung, eine neue Phase der Prosperität auszulösen, wirklich gelingt (siehe hierzu auch den Beitrag »Welche Zukunft hat das Vereinigte Königreich« auf Sozialismus.de und die dort angegebenen Beiträge in Heft 1-2020 der Printausgabe). Am meisten überrascht beim Jahresend-Optimismus, dass die Lage der bundesdeutschen Industrie offenkundig verharmlost wird.

Die Industrie und vor allem der Maschinenbau sowie die Automobilproduktion stecken offenkundig in einem Schrumpfungsprozess. Der Bau und der Dienstleistungssektor haben in den letzten Monaten, gestützt auf den verstärkten Konsum der Verbraucher*innen, eine Ausbreitung der negativen Tendenzen verhindert. Die Dienstleister profitierten weiter von der Konsumlaune der Verbraucher*innen. Der Ifo-Index war im Dezember zum zweiten Mal in Folge gestiegen und signalisierte eine bessere Stimmung bei den Firmenchefs in Deutschland. Die Ökonomen vom Münchner Ifo-Institut hatten daher für das Schlussquartal 2019 ein Wirtschaftswachstum von 0,2% prognostiziert.

Das DIW-Institut kommt zu einer anderen Bewertung: Im letzten Quartal werde die Wirtschaft weiter an Fahrt verlieren und dürfte um 0,1% schrumpfen. »Stand jetzt können wir allenfalls auf eine rote Null hoffen«, erklärte DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen. Die Industrie bleibe auch zum Jahresende stärker als noch im November erwartet im Rückwärtsgang. Die Zeichen stünden allerdings auf Besserung. »Denn die Unternehmen schauen – vor allem mit Blick auf das Auslandsgeschäft – wieder zuversichtlicher in die Zukunft.« Trotz geringerer Dynamik setzte sich der Beschäftigungsaufbau unterm Strich fort. »Die Industrieflaute dürfte nur vorübergehend den Arbeitsmarkt belasten, ab Frühjahr sollte die Zahl der Arbeitslosen wieder sinken«, erklärte das DIW.


Die Bewegung der Kurzarbeit

Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist die Bewegung der Kurzarbeit. Sie ist in der deutschen Industrie weiter gestiegen, wie eine weitere Umfrage des Ifo-Instituts zeigt. Demnach setzten im Dezember 8,4% der Industrieunternehmen auf Kurzarbeit, das ist der höchste Stand seit 2010. Im September waren es noch 5,6%. Auch der Anteil der Unternehmen, die damit rechnen, in den kommenden drei Monaten in Kurzarbeit zu gehen, ist noch einmal deutlich gestiegen: von 12,4 auf 15,3%. »Die Rezession in der Industrie hinterlässt zunehmend tiefe Spuren auf dem Arbeitsmarkt«, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. »Mit Kurzarbeit können Unternehmen die Auftragsflaute überbrücken und ihre Fachkräfte halten.« Laut Ifo konzentriert sich die Kurzarbeit gegenwärtig auf acht Branchen – am stärksten ist die Metallerzeugung und -bearbeitung betroffen.

Nach Schätzungen des Ifo-Instituts dürften aktuell schon mehr als 100.000 Beschäftigte in Kurzarbeit sein. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit weist seit einiger Zeit ebenfalls einen Anstieg der Kurzarbeiterzahlen aus, allerdings noch auf etwas geringerem Niveau. Demnach wurde im September – neuere Daten liegen noch nicht vor – laut vorläufigen hochgerechneten Daten 59.000 Arbeitnehmer*innen konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt. Zudem haben die Unternehmen im Oktober für 49.000 Personen Kurzarbeit angemeldet. Die Bundesagentur für Arbeit verweist immer wieder darauf, dass es nicht in jedem Fall auch tatsächlich zu Kurzarbeit kommt. Für Dezember geht sie Hochrechnungen zufolge von 84.000 Kurzarbeitern aus.

Das Kurzarbeitergeld ist eine Leistung, mit der die Arbeitslosenkasse für einen Teil des Lohnausfalls einspringt, wenn Unternehmen in konjunkturellen Schwächephasen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter kürzen. Das soll in Krisenzeiten Entlassungen vermeiden. In der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 waren zeitweilig fast 1,5 Mio. Arbeitnehmer*innen in Deutschland in Kurzarbeit. Die Unternehmer fordern seit längerem, dass der damals erleichterte Zugang zum Kurzarbeitergeld durch eine Verordnungsermächtigung auch jetzt wieder ermöglicht werden soll. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das in seinem Arbeit-von-morgen-Gesetz umsetzen.


Rückgang der Industrieproduktion

Aber auch wenn die Abwärtsbewegung in Teilen der Industrie durch das Kurzarbeitergeld abgefedert wird und der gesellschaftliche Konsum daher nicht tangiert wird: Die Zahl der Industriejobs geht erstmals seit zehn Jahren zurück, die Autobranche produziert so wenig wie vor 22 Jahren. Der Produktionssektor insgesamt steht mitten in einer Abwärtsbewegung, die noch nicht abgeschlossen ist. Die großen Unternehmen sind dabei, sich auf diesen Disruption einzustellen.

Die deutschen Unternehmen, deren Wohl seit Jahren mehr denn je am Export hängt, müssen sich auf einen herben Entzug einstellen. Eine schwache Weltkonjunktur, noch immer nicht endgültig gelöste Handelsauseinandersetzungen, der zunehmende Egoismus von wichtigen Wirtschaftspartnern wie den USA und China, die vor allem das eigene Wohl im Blick haben – all das wird besonders der deutschen Wirtschaft zu schaffen machen. Und die Konzerne, die nach zehn Jahren ungebrochenen Aufschwungs fast nicht mehr wissen, was eine Krise ist, haben Mühe, sich auf die neue Situation einzustellen.

Die Symptome der schwierigen Entwicklung beschäftigen auch die Alltagspresse, denn sie sind eindeutig: Im Oktober schrumpfte erstmals seit neun Jahren, also seit dem Ende der Finanzkrise, die Zahl der Mitarbeiter in der deutschen Industrie. Das Job-Minus im verarbeitenden Gewerbe liegt zwar bei lediglich 0,2%, wie das Statistische Bundesamt berechnet hat. Aber das wird voraussichtlich nur der Beginn sein: Viele große Unternehmen haben bereits angekündigt, im kommenden Jahr Jobs abzubauen: Daimler, Audi, Bosch, Thyssenkrupp, Continental, Siemens, Bayer, BASF – die Liste ist erschreckend lang und auch noch nicht vollständig.


Die Autobranche steckt bereits in einer Rezesssion

Besonders groß sind die Schwierigkeiten in der Autoindustrie, über Jahrzehnte der Stolz Deutschlands und traditionell wichtiger Impulsgeber für andere Wirtschaftsbereiche. Einer Studie zufolge werden 2019 in Deutschland so wenige Autos gebaut wie seit 22 Jahren nicht mehr. Es ist schon absehbar, dass es 2020 noch mal weniger sein dürften als die knapp 4,7 Mio. Fahrzeuge in diesem Jahr. Dramatisch dabei: Der Anteil Deutschlands, dem Land, in dem das Auto einst erfunden wurde, an der Weltproduktion liegt jetzt bei nur noch knapp 6%, und hat sich in den vergangenen 20 Jahren halbiert. Viele deutsche Hersteller haben Werke in anderen Ländern aufgebaut. Der Standort Deutschland mit seinen vielen Jobs verliert damit weiter an Bedeutung.

Die Autoindustrie ist dabei ein Beispiel, wie verhängnisvoll es sein kann, wenn selbstgemachte Fehler und allgemeine Probleme plötzlich zusammenkommen und zu einem Sturm werden. Der Dieselskandal – die bewusste Manipulation von Fahrzeugen, damit diese die gesetzlichen Normen einhalten – hat zu Kosten in Milliardenhöhe, zu Imageeinbußen und Kaufzurückhaltung geführt. Gleichzeitig geht der Trend weltweit zu alternativen Antrieben, die deutsche Ingenieure hatten aber lange auf herkömmliche Technologien gesetzt und müssen jetzt in großer Eile umsteuern (siehe hierzu auch den Beitrag von Kai Burmeister »Gute Arbeit in rauen Zeiten verteidigen. Gewerkschaftliche Anforderungen für eine gerechte Transformation in der Autoindustrie« in Heft 1-2020 von Sozialismus.de).

Dazu kommt die extreme Exportabhängigkeit: BMW zum Beispiel macht nur noch 8% seines Geschäftes in Deutschland. In Zeiten einer florierenden Weltkonjunktur und boomender Märkte wie in China sorgte das für gute Geschäfte. Dreht sich der Trend, wie jetzt, ist das besonders hart. Nächstes Jahr dürfte die Zahl weiter sinken. Neben eigenen Fehlern der Autobauer hat die Entwicklung vor allem einen Grund, der globale Transformationsprozess.

Die globale Autobranche steckt in einer Rezession. Der Fahrzeugabsatz dürfte 2019 laut Schätzungen auf etwa 78,8 Mio. Einheiten sinken, was einem Rückgang um 5% oder um gut 4 Mio. Neufahrzeuge entspricht. Davon ist der Produktionsstandort Deutschland besonders betroffen. Das Center Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen prognostiziert, die Personenwagenproduktion in Deutschland werde dieses Jahr auf knapp 4,7 Mio. Einheiten fallen. Das wäre der schlechteste Wert seit dem Jahr 1997, in dem etwa gleich viele Fahrzeuge hergestellt worden sind. In diesem Jahrhundert war die Fahrzeugproduktion lediglich im Finanzkrisenjahr 2009 ganz knapp unter die Marke von 5 Mio. gefallen.

Für 2020 erwartet Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR, sogar einen Rückgang auf 4,5 Mio. Einheiten, wodurch sowohl bei den Autoherstellern als auch bei ihren Zulieferern mit zeitweiliger Kurzarbeit zu rechnen sei. Bereits jetzt haben vor allem Zulieferer das Nutzen von Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit und Entlassungen sowie in wenigen Fällen sogar Werkschließungen angekündigt. 2019 hatte der deutsche Markt selbst immerhin noch ein Viertel der Fahrzeugproduktion zwischen Nordsee und Alpen absorbiert, doch auch dieser Wert dürfte kommendes Jahr sinken, da Beobachter mit einem Rückgang der Nachfrage in Deutschland von 3,5 Mio. auf 3,3 Mio. Fahrzeuge rechnen.

Die Rezession der Autoproduktion hat vielerlei Gründe, der wichtigste besteht neben dem technologischen Umbruch in den von den USA ausgelösten Zollkriegen. Damit habe Präsident Donald Trump die Autokonjunktur in China abgewürgt, dem inzwischen mit Abstand wichtigsten Markt der Welt. Das trifft die Exporte der deutschen Hersteller besonders stark, da sie im Reich der Mitte eine sehr gute Marktposition innehaben.


Die internationalen Faktoren

Zu Konjunkturoptimismus gibt es also keinen Anlass: Faktisch ist die aktuelle Konstellation widersprüchlich. Auf der einen Seite ist die Stimmung unter den deutschen Exporteuren wegen des entschärften Handelsstreits zwischen den USA und China so gut wie seit zehn Monaten nicht mehr. »Die sich andeutende Entspannung im Handelskonflikt lässt bei den Exporteuren leichten Optimismus aufkeimen«, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Und auch die Ergebnisse der Parlamentswahl in Großbritannien befördere die Zuversicht, da mit ihnen für etwas mehr Klarheit gesorgt wurde und der britische Premierminister Boris Johnson seinen Brexit-Kurs durchsetzen könne.

Auf der anderen Seite belegen Daten auch, dass die exportorientierte Industrie noch lange nicht über den Berg ist. Dass das Verarbeitende Gewerbe so stark auf Kurzarbeit wie im Nachgang der internationalen Finanzkrise 2010 nicht mehr setzt, wurde bereits angesprochen. Das gewerkschaftsnahe IMK-Institut sieht zudem die internationalen Konflikte als Bremsklotz für die deutsche Wirtschaft und die Inlandsnachfrage als Lichtblick. »Ohne das robuste Wachstum sowohl der privaten wie der öffentlichen Konsumausgaben sowie des Wohnungsbaus wäre die deutsche Konjunktur in eine Rezession abgeglitten.« Für 2020 erwarten die Ökonomen ein Wachstum der gesamten Wirtschaft von 0,8%, nach 0,5% in diesem Jahr. »Es sieht so aus, als könnte die deutsche Wirtschaft in diesem Abschwung mit einem blauen Auge davonkommen«, sagte IMK-Forscher Sebastian Dullien. »Allerdings gibt es derzeit zugleich wenig Anzeichen, dass sie sich schnell erholt.«

Zu den konjunkturellen Aspekten kommt ein struktureller Wandel der gesamten Wirtschaft, fast alle Geschäftsmodelle ändern sich durch die Digitalisierung grundlegend. Neue Wettbewerber tauchen auf. Es geht plötzlich um Daten, die Bedürfnisse der Kund*innen ändern sich. Die alten Konzepte zur Krisenbewältigung taugen nicht mehr. Nahezu jedes Unternehmen muss sich neu erfinden, und das oft unter dem Druck der Kapitalmärkte. Bei Konzernen wie Thyssenkrupp sind bereits Investoren eingestiegen, die aggressiv auf schnelle Änderungen und kurzfristige Wertsteigerungen drängen. Andere Unternehmen wie Siemens oder Bayer gliedern unter dem Druck ganze Geschäftsbereiche aus und bringen sie als selbständige Einheiten an die Börse. Sie teilen sich also selbst auf, um schneller zu werden. Dazu kommen weitere Belastungen für die Unternehmen, auch durch das Klimapaket, sowie ein Mangel an Fachkräften.

Das alles deutet darauf hin, dass es sich dieses Mal um eine andere Form des Abschwungs oder gar des gesamten Konjunkturzyklus handelt. Bei den letzten Krisen ist die Wirtschaftsentwicklung steil nach unten gegangen, dann aber gefolgt von einer schnellen Erholung. Doch woher sollen nun entscheidende Impulse kommen? Der Leitzins der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt schon lange bei null, die Notenbank ist damit quasi handlungsunfähig. Und die Große Koalition in Deutschland ist sehr mit sich selbst beschäftigt. Angesichts des Umbruchs der Wirtschaft besteht durchaus die Gefahr, dass es zu einer längeren Flaute kommt und die Wirtschaft dahindümpelt – mit allen negativen Konsequenzen.


Finanzmärkte, Entwicklung der Wertpapiere und der Zinsen

Gespeist wird der Konjunkturoptimismus von den Entwicklungen an den Börsen. Im Herbst 2018 waren die Wertpapiere erheblich gedrückt worden, im Jahr 2019 legten die Börsen weltweit deutlich 2019 zu. Doch was steht hinter der guten Entwicklung der Wertpapiere? Wenn man den Analysten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) folgt, muss man sich vor allem Sorgen über die weitere Entwicklung machen. Die Anleger waren bereit, deutlich weniger Zuschlag zu nehmen, wenn sie länger laufende Anleihen kaufen. Dabei müsste es umgekehrt sein. Denn je länger die Laufzeit, desto höher das Ausfallrisiko. Außerdem steigt die Gefahr von Änderungen der Rahmenbedingungen, vor allem bei den Inflationsraten.

Dieser Zusammenhang betrifft aber nicht nur die Anleihenmärkte, sondern das langfristige Zinsniveau schlägt auf alle Assetklassen durch. Die BIZ sieht diese Entwicklung in ihrem kürzlich erschienenen Quartalsbericht mit deutlicher Sorge. Vordergründig ist alles in Ordnung. Vergleicht man die Rendite von Aktien beispielsweise mit der Rendite langlaufender Staatsanleihen, so zeigt sich eine stabile Differenz. Trotz rekordhoher Bewertung an den Börsen, liegt die Ertragsdifferenz zu Anleihen recht stabil beim langfristigen Durchschnitt. Dies bedeutet, dass Aktien so gesehen eben nicht besonders teuer sind und die Risikoprämie für den Kauf von Aktien angemessen war.

Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man berücksichtigt, dass der Zinszuschlag für länger laufende Anlagen sehr deutlich zurückgegangen ist und davon ausgeht, dass es sich um eine Anomalie handelt, die nicht von Dauer sein kann. Unabhängig von der Politik der Zentralbanken droht ein Umschwung, der zu einer Normalisierung der Zinskurve und damit steigenden Zuschlägen am langen Ende führen könnte – aber besonders, wenn diese in die direkte Finanzierung von Staatsausgaben einsteigen.

Der gesamte Anstieg an den Märkten lässt sich laut BIZ auf den Rückgang der Zinsen zurückführen. Legt man bei dieser recht volatilen Größe historische Werte zugrunde, sind die Bewertungen an den Märkten nicht mehr gerechtfertigt. Im Markt für Unternehmensanleihen dasselbe Bild. Maßstab ist hier die Zinsdifferenz zu Staatsanleihen. Dies bedeutet, dass die Investoren bereit sind, überproportionale Risiken einzugehen, wissen wir doch, dass ein guter Teil der Anleihen bei nüchterner Betrachtung das Rating nicht mehr verdienen.

Besonders bemerkenswert findet die BIZ, dass sich die Preise für Unternehmensanleihen immer mehr von der fundamentalen Entwicklung der Realwirtschaft abkoppeln. Gerade mit Blick auf die Lage im produzierenden Gewerbe in den USA und der Eurozone wirken die Bewertungen demnach überzogen – die BIZ spricht von »rich valuations«. In der Vergangenheit haben sich die Risikozuschläge für Industrieanleihen parallel zu den Einkaufmanager-Indizes (PMI) entwickelt. Seit Jahresanfang gibt es eine Divergenz: Während die Industrie in Richtung Rezession und damit per Definition zu höheren Ausfallrisiken unterwegs ist, sanken die Risikoprämien weiter.

Die BIZ sieht die Wirkung der Notenbankpolitik besonders kritisch. Schon vor Jahren hat sie aufgezeigt, dass die Notenbanken – deren gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz – eine erhebliche Mitschuld am Rückgang des weltweiten Zinsniveaus haben. Die »asymmetrische Reaktion« der Notenbanken auf jede Krise an Finanzmärkten oder in der Wirtschaft, beginnend beim Crash 1987 bis eben zur Finanzkrise, hat die Welt immer mehr in Verschuldung und Zombifizierung geführt: Stets wurden die Zinsen gesenkt und Liquidität in die Märkte gepumpt, ohne danach die Maßnahmen wieder vollumfänglich zurückzunehmen.

Klar ist, dass in diesem Umfeld, in dem die Märkte für Vermögenswerte nur dank des billigen Geldes so hochgetrieben wurden, der kleinste Anstieg der Zinsen zu heftigen Einbrüchen führen würde. Deshalb werden die Notenbanken auch alles tun, um dies zu verhindern. Bleibt jedoch die Frage, ob es ihnen gelingt.

Wie die BIZ in ihrem aktuellen Bericht aufzeigt, war es der Rückgang der Zinsdifferenz zwischen kurz- und langfristigen Anlagen, der die Märkte in diesem Jahr beflügelt hat. Im Unterschied zum kurzfristigen Zins haben die Notenbanken hier weniger Möglichkeiten zur Manipulation. Normalisiert sich nun die Zinskurve, kann das zwei Ursachen haben: Entweder die Wirtschaft fasst wieder Fuß und die Rezession wird vermieden. Dann könnte es sein, dass bessere Gewinne und Fundamentaldaten die heutigen Bewertungen stützen. Oder aber die Rezession kommt und die Zentralbanken treiben weltweit die kurzfristigen Zinsen noch deutlicher nach unten. Dann müssten nach dieser Logik alle Assetpreise fallen.

Die Sorglosigkeit der Anleger*innen muss also als klares Warnsignal gesehen werden. Die BIZ verweist auf die Rekordspekulation auf einen weiteren Rückgang des Index der Volatilität. Die Märkte gehen also davon aus, dass die Schwankungen an den Börsen weiterhin gering bleiben oder noch weiter fallen. Es könnte durchaus ein böses Erwachen aus dieser Spekulation geben.

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