Liebe Leserinnen und Leser,

Jürgen Habermas umschreibt die gegenwärtige »soziale Pathologie« in einem Interview mit Le Monde (22.11.2015) folgendermaßen: »Wie jeder weiß, sind die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, aus denen der Fundamentalismus des Islamischen Staates heute in erster Linie seine Energie zieht, entfesselt worden in der Folge der amerikanischen Intervention im Irak unter George W. Bush… Der plötzliche Stopp des Modernisierungsprozesses in diesen Gesellschaften erklärt sich auch aus einigen besonderen Aspekten der sehr stolzen arabischen Kultur. Aber die Abwesenheit von Perspektive und Hoffnung auf Zukunft, der die jungen Generationen in diesen Ländern umfängt, ist in Teilen ein Faktum der westlichen Politik. Diese jungen Generationen radikalisieren sich, wenn alle politischen Versuche scheitern, schon um Selbstachtung zurückzugewinnen.« In der Dezember-Ausgabe von Sozialismus werden verschiedene Dimensionen einer aus den Fugen geratenen Welt näher in Augenschein genommen. Anregende Lektüre wünscht

die Redaktion

Das neue Heft

»Die Einwanderung und der Islam sind die zentralen Themen des rechten Kulturkampfes in Europa, der aktuell durch die ungelöste Flüchtlingsproblematik und den islamistischen Terror propagandistische Nahrung und politische Anschlussfähigkeit erhält«, schreibt Alexander Häusler nicht zuletzt mit Blick auf die AfD – und man könnte hinzufügen: den Front National in Frankreich. Die Verschiebung der Gewichte im Parteiensystem nach rechts zeichnen Joachim Bischoff und Bernhard Müller anhand der »Flüchtlingsdebatte« nach. In Thüringen »gibt es keine Zeltstädte, hier brechen keine Krankheiten in überfüllten Unterkünften aus, hier relativiert keine Landesregierung Bedrohungen von rechts…« bilanziert Susanne Hennig-Wellsow nach einem Jahr #r2g und unterstreicht damit die Bedeutung sozialer Infrastruktur und demokratischer Kultur für eine Politik der Integration. Die Gefahr, dass in Frankreich nach dem Schock des 13./14. November eine illiberale Entwicklungsrichtung einschlägt, sieht Bernhard Sander. Die widersprüchliche und widerstreitende Entwicklung in der Türkei sowie in  Nordsyrien/Rojava nehmen Errol Babacan und Murat Cakir sowie Michael Knapp unter die Lupe. Folgt Polen dem Beispiel Ungarns? Das Machtregime PiS/Kacynski beleuchtet Holger Politt in einer Wahlnachlese. Könnte möglicherweise in Portugal – nach Griechenland – eine andere Entwicklungsrichtung verfolgt werden? Was wären dann »linke Alternativen«? Joachim Bischoff und Björn Radke umreißen Eckpunkte.

Die Themen im Forum Gewerkschaften sind der Dieselgate bei Volkswagen (Stephan Krull), die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge am Beispiel privater Krankenhausketten (Thomas Böhm), die Bewertung der Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst (Jana Seppelt/Benjamin Wodrich sowie Michael Wendl) und die Rüstungs(konversions)debatte in der IG Metall (Otto König/Richard Detje).  

Highlights zum Schluss: Christoph Lieber über den Gramsci-Roman von Nora Bossong (36,9°), Frank Heidenreich über Band 8/II des Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Marxismus und Klaus Schneider über Woody »Allens Irrational« Man.

Das Supplement: Dieter Boris/Achim Wahl/Tim Schützhofer: Lateinamerika: Defensive der Linksregierungen? Zehn Thesen zur politischen Entwicklung/Brasiliens Dilemma/Ecuadors Weg

Kommentare

Hamburg sagt »Nein« zur Olympia-Bewerbung

Die Frage Olympia »Ja« oder »Nein« hat die Hamburger Bevölkerung stärker mobilisiert als andere Themen. 650.000 der 1,3 Mio. Wahlberechtigten gaben in dem vierwöchigen Verfahren ihre Stimme ab. Die Teilnahme am Referendum überstieg vergleichbare Volksbefragungen in der Hansestadt deutlich. Das knappe, aber deutliche »Nein« zu einer Bewerbung ist für die politische Klasse der Stadt, für die rot-grüne Koalition und auch für den SPD-Spitzenpolitiker Olaf Scholz ein unerwarteter Tiefschlag. Mehr...

Ungleichheit kann reduziert werden

Anthony Atkinson ist einer der wichtigsten Ungleichheitsforscher. Vor einem halben Jahr erschien sein Buch »Inequality: what can be done?«. Jetzt ist eine Kurzfassung als Working Paper des International Inequalities Institute (III) an der London School of Economics and Political Science (LSE) erschienen. Sie basiert auf dem Vortrag, mit dem Atkinson sein Buch Ende April in der LSE präsentiert hat. Mehr...

Rechtsrutsch in Argentinien

Nach zwölf Jahren Kirchnerismus ist die neoliberale Rechte wieder am Ruder. Dem Land stehen schlechte Zeiten bevor. Mehr...

Griechenlands steiniger Reformpfad

Noch immer wird auch in der Bundesrepublik Deutschland über die Politik von Syriza und die Perspektiven in Griechenland debattiert und gestritten. Die Fortsetzung des Kampfes zwischen der harten Austeritätspolitik, die die internationalen Investoren einfordern, und der Linksregierung ist auf die hinteren Seiten der Medien gerückt. Mehr...

Liberté, Egalité, Fraternité

Frankreich befindet sich nach den Worten seines Präsidenten im Krieg gegen die Terroristen des »Islamischen Staates« (IS).[1] Auch George W. Bush sprach nach dem 11. September 2001 von einem »Krieg«, der so lange andauere, bis jede »Terrorgruppe mit globaler Reichweite« besiegt sei. 14 Jahre nach dieser Kriegserklärung, nachdem in Afghanistan, im Irak, in Syrien und Libyen die »freiheitlichen Werte« herbeigebombt werden sollten, wird immer noch gekämpft. Mehr...

»Frankreich ist im Krieg« – gegen sich selbst

Die Terroranschläge in Paris werden Folgen haben. Sie trafen ein Land, das sich nicht mehr im Klaren ist, wie man zusammen leben soll. Bereits nach den Attentaten im Januar hatte der Ministerpräsident von einem Land der Apartheid gesprochen, ohne dass daraus Konsequenzen gezogen worden wären. Mehr...

Weitere Kommentare und Kurzanalysen gibt es hier.

Bei anderen entdeckt

Die Schicksalskonferenz

Benjamin von Brackel/Christian Mihatsch: Paris 2015: Die Schicksalskonferenz, in: Blätter für deutsche und internationale Politik

Termine

Die emotionale Seite rationaler Politik

1. Dezember 2015 | Bielefeld | 20:00 Uhr | Mondo, Elsa-Brandströmstraße 23

Linke Politik gründet sich von ihrem Selbstverständnis her auf eine materialistische Analyse der Gesellschaft. Man sollte das daraus entstehende Handeln allerdings zudem aus einer psychologischen Sicht betrachten. Das ist die These des Sozialwissenschaftlers Harald Werner, Beauftragter des Parteivorstandes der LINKEN für politische Bildung und Autor des Buches Politische Psychologie des Sozialismus (VSA: Verlag 2015). Wobei er nicht die Politik psychologisieren will, sondern den Blick schärfen möchte für diejenigen psychischen Prozesse, die politisches Handeln entweder behindern oder auch befördern können. Vortrag und Diskussion.

Papst Franziskus als Kapitalismuskritiker

2. Dezember 2015 | Hamburg | 19:00 Uhr | Vor-Ort-Büro-Hansaplatz, Zimmerpforte 8

In seinem ersten Apostolischen Schreiben »Evangelii Gaudium« hat sich der Papst überraschend pointiert als Kritiker des Kapitalismus gezeigt, und mit seinem Rundschreiben »Laudato Si« zur Umweltkrise setzt er diese Linie fort. Michael Ramminger, katholischer Theologe, Münster, fragt, ob das Konsequenzen hat für die Linke, und zeigt, dass Teile der Kirchen durchaus bewegt und bewegbar sind. Er ist Mitautor des von Franz Segbers und Simon Wiesgickl herausgegebenen Bandes Diese Wirtschaft tötet. (Papst Franziskus) Kirchen gemeinsam gegen Kapitalismus, VSA: 2015.

22. Friedenspolitischer Ratschlag

5. bis 6.12. 2015 | Kassel | Universität, Wilhelmshöher Allee 73

Zum 22. Friedensratschlag laden die AG Friedensforschung, der Bundesausschuss Friedensratschlag und das Kasseler Friedensforum ein. Unter dem Motto »Wege aus der Kriegslogik – für eine neue Friedenspolitik« wird u.a. über Fluchtursachen, Militärinterventionen, Waffenexporte und friedliche Konfliktlösungen diskutiert. In der Einladung heißt es: »Stellvertreterkriege, wirtschaftliche Ausbeutung, Freihandel und Erderwärmung verursachen große Fluchtbewegungen. Da sind fundierte politische Analysen geboten. Dieser Aufgabe wollen wir uns beim Friedensratschlag stellen. Um einer Entwicklung Einhalt zu gebieten, welche die Welt erneut unter das Damoklesschwert absichtlicher oder versehentlicher Zerstörung bringt«. Es diskutieren Wissenschaftler wie Matin Baraki, Erhard Crome, John Neelsen, Norman Paech, Werner Ruf und Peter Wahl, der Botschafter Ecuadors Jorge Jura­do, der IG Metall-Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, die PublizistInnen Karin Leukefeld und Eberhard Rondholz sowie eine Reihe Parteipolitiker und Fachexperten. Anmeldung: AG Friedensforschung »Friedensratschlag«, Germaniastr. 14, 34119 Kassel, Tagungsbeitrag: 35,00/15,00 Euro, Mail:  2015@friedensratschlag.de

Wo bitte geht’s zum Prekariat?

10. Dezember 2015 | Kiel | 20:00 Uhr | »Pumpe«, Haßstr. 22

Politisches Engagement ist auch eine Frage der Klassenzugehörigkeit. Vor allem die Benachteiligten des heutigen Kapitalismus, Angehörige der »einkommensschwachen« Bevölkerungsschichten, haben sich – jenseits von gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen – nach dem Aufflackern der Hartz-IV-Proteste aus dem politischen Raum zurückgezogen. In den letzten Jahren haben verschiedene Studien versucht, das Phänomen der generellen Politik- und/oder Wahlverdrossenheit zu analysieren. Horst Kahrs (RLS) hat diese Studien untersucht. Mit ihm, mit dem außerparlamentarischen Aktivisten Christoph Kleine (Interventionistische Linke) und mit der Parlamentarierin Cornelia Möhring (MdB DIE LINKE) soll über Wege neuer politischer Bewegung und aktiver Teilnahme an gesellschaftlicher Auseinandersetzung diskutiert werden. Dabei wird ein Blick über den Tellerrand geworfen: In Spanien ist es aktuell gelungen, neue politische Bewegungen gegen die Lasten der Finanz- und Wirtschaftskrise zu entwickeln, die auch zur Gründung gemeinsamer kommunaler, aber auch landesweiter Wahlprojekte geführt haben – hier konnten sich die Interessen der »Empörten« artikulieren und politisch wirkmächtig werden.

Rot-Rot-Grün in Thüringen – ein Jahr mit Folgen?

15. Dezember 2015 | Hamburg | 18:30 Uhr | Uni Hamburg (ex-HWP), Von-Melle-Park 9

Während für die Bundestagswahl 2017 eine Koalition von SPD, Grünen und LINKE als unwahrscheinlich gilt, ist diese seit einem Jahr in Thüringen an der Regierung. Mit welchen Zwischen-Ergebnissen, welchen Problemen, welchen Vorhaben? Fragen, die auch in dem von Susanne Hennig-Wellsow (Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Thüringer Landtag) herausgegebenen VSA: Buch Mit LINKS regieren? aufgeworfen sind. Vortrag und Diskussion mit Malte Krückels, Staatssekretär für Medien und Bevollmächtigter der Thüringischen Landesregierung beim Bund.

Postsowjetische Gesellschaft zwischen Stabilisierung und Krise

15. Dezember 2015 | Köln | 19:30 Uhr | Salon & Galerie Freiraum, Gottesweg 116a

An Putin und dem postsowjetischen Russland scheiden sich die Geister. Felix Jaitner fragt jenseits der Schuldzuweisungen und Unschuldsvermutungen im Ukraine-Konflikt, in Tschetschenien oder in Syrien nach den ökonomischen und politischen Grundlagen des russischen Macht- und Herrschaftssystems. Er ist Autor des Buches Einführung des Kapitalismus in Russland. Von Gorbatschow zu Putin (VSA: 2014).

Krise – Stagnation – Aufbruch? Spanien vor den Wahlen

17. Dezember 2015 | Hannover | 19:00 Uhr | Pavillon am Raschplatz, Lister Meile 4

Das System der »Transición española«, die nach dem Tod Francos etablierte konstitutionelle Monarchie mit den beiden großen Parteien Partido Popular und Partido Socialista Obrero Español, befindet sich womöglich vor einem gewaltigen Umbruch. Doch die Richtung ist ungewiss: Auf der einen Seite erleben junge Parteien und lokale Initiativen enormen Zulauf, auf der anderen Seite wurden die Rechte von Gewerkschaften wie auch das Demonstrationsrecht eingeschränkt. Und separatistische Bewegungen wollen sich ganz vom spanischen Staat ablösen. Vortrag und Diskussion mit Raul Zelik, Autor, Journalist & Sozialwissenschaftler. Veröffentlichung: Raul Zelik/Aaron Tauss (Hrsg.): Andere mögliche Welten? Krise, Linksregierungen, populare Bewegungen, VSA: 2013.

Neue Bücher

Dagmar Enkelmann / Florian Weis (Hrsg.)
»Ich lebe am fröhlichsten im Sturm«
(Rosa Luxemburg)
25 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung
224 Seiten | Halbleinenband | mit Fotos | EUR 16.80
ISBN 978-3-89965-678-7

 

Michael Brie (Hrsg.)
Lasst uns über Alternativen reden
Beiträge zur kritischen Transformationsforschung 3
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
264 Seiten | EUR 16.80
ISBN 978-3-89965-677-0

 

Marcus Hawel & Herausgeber_innenkollektiv (Hrsg.)
WORK IN PROGRESS.
WORK ON PROGRESS.

Beiträge kritischer Wissenschaft
Doktorand_innen Jahrbuch 2015 der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Herausgeber_innenkollektiv:
Lisa Doppler, Martin Schröder und Paul Fischer-Schröter. Unter Mitarbeit von Moritz Blanke, Svenja Bromberg, Gürcan Kökgiran, Rosa Lehmann, Stefanie Steinbach, Amir Taha und Alexander Wolpert-Doppler
352 Seiten | EUR 19.80
ISBN 978-3-89965-684-8

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