Liebe Freundinnen und Freunde von Sozialismus.de,

wenige Wochen vor der Bundestagswahl zeichnet sich für die Parteien, die mit einer Kandidatin oder einem Kandidaten für das Kanzleramt ins Rennen gegangen sind – Union, Grüne und Sozialdemokraten – kein eindeutiges Ergebnis ab. Das Finish um die Führungsposition bleibt spannend. Da nach dem Doppelheft 7-8/2021 im August keine gedruckte Ausgabe erscheint, werfen wir ein Blick auf Aspekte des Unions-Wahlkampfs. Außerdem verweisen wir auf das, was wir »Bei anderen gesehen« haben.

Mit besten Wahlkampf-Grüßen
Redaktion Sozialismus.de

Im Schlafwagen zum Modernisierungs-Jahrzehnt?

Die jüngsten Umfragen lassen eine schwierige Regierungsbildung erwarten. Der CSU-Chef Markus Söder sieht einen Sieg der Unionsparteien noch nicht als sicher an. Er befürchtet gar eine »Zufallsmehrheit« gegen die Union.  Eine Ampel oder gar ein Links-Bündnis seien als Ergebnis möglich. Der grüne Höhenflug sei zwar gestoppt und die Union habe sich stabilisiert. Dennoch reichten schon ein, zwei Prozent für den Verlust des Kanzleramtes, rechnete er vor. »Mobilisieren, mobilisieren, mobilisieren« müsse deshalb die Devise sein. »Im Schlafwagen« erreiche man das Kanzleramt nicht. Wie im Fußball empfehle er, »einfach auch noch mal selbst zu stürmen und ein bisschen offensiv zu werden.

Deutlich ist dabei Kritik an Laschets Wahlkampfstil herauszuhören, der bisher weniger auf programmatische Profilierung als auf Fehlervermeidung ausgerichtet war, denn er befürchte, der »seltsame Wahlkampf« plätschere weiter dahin und nehme der Union am Ende die Stärke, eine Regierung zu bilden.

CSU-Chef Söder warnt nicht nur die im Schlafwagen reisende Schwesterpartei, sondern auch die eigene Partei: Aktuelle Umfragen sehen die CSU bei der Bundestagswahl bei nur 36% – und damit noch hinter den 38,8% von 2017. Und der CSU steht weiterer politischer Ärger ins Haus. Im Landtag droht ein Untersuchungsausschuss, die Opposition hat CSU-Politiker im Visier, die sich im Kampf gegen die Pandemie unerträglich bereichert haben.

Und Söders Stellvertreter als Ministerpräsident, der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, macht Schlagzeilen, weil er sich weiterhin nicht gegen Corona impfen lassen will und nicht das erfüllen werde, was das »politische Establishment« von ihm erwarte. Aiwanger wirbt unbeirrt offensiv um Zweitstimmen von CSU-Wähler:innen mit Argumenten in der Nähe zu Impf- und Establishment-Querdenkern, was Söder als politisch gefährlich betrachtet. CSU-Strategen befürchten, dass Aiwanger nicht nur persönliche Bedenken gegenüber der Corona-Impfung hat, sondern das Thema auch als Wahlkampfmunition benutzen will. Die Freien Wähler wollen auch in den Bundestag einziehen. Aktuelle Umfragen sehen sie bundesweit bei rund 3%.

Auch mit Blick auf die politische Basis in Bayern fordert Söder, das bürgerliche Lager dürfe nicht zersplittert werden. Der bayrische Regierungschef wird deutlich: Unabhängig davon, dass sein Vize in der Sache falsch liege, verstöre der »Sound« der Argumente. Der Ministerpräsident warnt: »Wer glaubt, sich bei rechten Gruppen und Querdenkern anbiedern zu können, verlässt die bürgerliche Mitte und nimmt am Ende selbst Schaden.« Wer meine, in einem solchen Becken fischen zu könne, riskiere, darin zu ertrinken. Eine Stimme für die Freien Wähler, mit denen man in Bayern immerhin regiere, sei verschenkt. Und eine Stimme für die FDP führe eventuell zu einer Ampel im Bund. Beide Stimmen also für die CSU.

Das bei der Vorstandsklausur am Tegernsee vorgestellte CSU-Wahlprogramm soll die Bürger:innen überzeugen. Söder setzt auf Sieg durch massive Mobilisierung und klare Kante. CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt sekundiert: Das Ende der Ära Merkel sei eine Zäsur. Einen Amtsbonus gebe es nicht mehr. Anhänger:innen wie Skeptiker:innen der Kanzlerin orientierten sich neu. Auf das Programm komme es deshalb an.

Dabei setzt die CSU mit ihrem eigenen Wahlprogramm »Gut für Bayern. Gut für Deutschland« auch auf soziale Aspekte, die sie im gemeinsamen Programm mit der CDU nicht unterbringen konnte. Die Ausweitung der Mütter-Rente macht sie zur »Grundbedingung« einer Regierungsbeteiligung. Das Ehegattensplitting will sie durch ein Kindersplitting erweitern. Kitas sollen ausgebaut werden und Kinderbetreuungskosten bis 6.000 Euro vollständig absetzbar sein. Das Elterngeld soll verlängert werden. Insgesamt wollen die Christlich-Sozialen spürbare Entlastungen für Familien und Mittelstand, für die die große Schwester derzeit keine Spielräume sieht.

Das immer wieder ausgerufene Modernisierungs-Jahrzehnt hat bei der bürgerlichen Mitte eine brüchige Bodenhaftung. In der CDU Thüringens kandidiert der ausgewiesene rechte Flügelmann Hans-Georg Maaßen und in Bayern ist der CSU-Chef zum einen nervös wegen der Ausfransung der politischen Mitte, zum anderen wegen eines zu laschen Wahlkampfs der Schwesterpartei.

Bei anderen gesehen

»Man hat mich selbst als frei gewählten Abgeordneten bespitzelt«

Der Vorsitzende des Ältestenrats der Linkspartei und vorletzte Ministerpräsident der DDR, Hans Modrow, hat vor Gericht Akteneinsicht in seine BND- und Verfassungsschutzakten erstritten. Er wurde von 1958 bis 2013 von westdeutschen Geheimdiensten ausspioniert. Darüber hat er nun in einem Exklusiv-Interview mit der Berliner Zeitung berichtet.

»Politisch würde ich mich als Grün-Schwarzen bezeichnen«

Autoproduktion und Umweltschutz sind für den Audi-Konzernchef Markus Duesmann kein Gegensatz. Er will bei Audi im Jahr 2025 das letzte Produkt mit Verbrennungsmotor bauen lassen, kritisiert aber den langsamen Ausbau der Ladeinfrastruktur. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung erläutert der 52-Jährige seine Strategie für die kommenden Jahre.

Ausgehender Neoliberalismus?

Wolfgang Streeck hat ein neues Buch zur Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus veröffentlicht: »Zwischen Globalismus und Demokratie«, auf das sicherlich in der Zeitschrift zurückzukommen sein wird. Der FAZ-Redakteur Günther Nonnenmacher findet, dass Streeck einen »wagemutigem, fast halsbrecherischem Entwurf« zur Erklärung der bevorstehenden großen Transformation geliefert hat und resümiert in seiner Besprechung: »Beeindruckend ist, dass ein renommierter Wissenschaftler einen solchen Wurf überhaupt wagt, denn dazu gehört Mut und allerdings auch eine Portion Größenwahn«.

Neue Kurzanalysen

Corona-Pandemie verstärkt soziale Ungleichheit

Die Corona-Pandemie verstärkt bereits bestehende soziale Ungleichheiten. Die Krisenfolgen treffen vor allem die stärker, die auch vor der Krise über geringe Ressourcen verfügten. So sind die Ungleichheit der Löhne nach Leistungsgruppen, die Bildungsungleichheit, gesundheitliche Ungleichheit und Geschlechterungleichheit weiter angewachsen und ist die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgegangen. Mehr...

Start des radikalen Umbaus der Türkei

Fünf Jahre ist es her, dass Teile des Militärs, angeführt von einem »Rat für Frieden in der Heimat«, in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 gegen Recep Tayyip Erdoğan und sein islamisch-konservatives AKP-Regime putschten. 251 Menschen starben und mehr als 2.000 wurden verletzt. Mehr...

»Raus aus der Krise«

Die Coronapandemie hat starke negative Auswirkungen auf die aktuelle Erwerbs- bzw. Ausbildungssituation, das persönliche Wohlbefinden sowie den sozialen Nahbereich und die Zukunftspläne junger Menschen. Dies zeigt eine aktuelle Studie der IG Metall Jugend. Mehr...

Erneute Kraftprobe mit der neuen Rechten

Die Selbstauflösung des Thüringer Landtags und die angedachten Neuwahlen parallel zur Bundestagswahl zum 26. September sind geplatzt. LINKE und Grüne haben die zusammen mit SPD und CDU beantragte Landtagsauflösung abgesagt, weil die von der Verfassung vorgeschriebene Zwei-Drittel-Mehrheit jenseits von AfD-Stimmen unsicher war. Mehr...

Was würde wohl Fidel sagen und tun?

Auf Kuba ist es in mehreren Städten zu unorganisierten Massenprotesten gekommen. Die Partei- und Staatsführung des sozialistischen Inselstaates reagiert mit polizeilicher Repression, Einschränkungen der gesellschaftlichen Kommunikationsnetze und Gegenkundgebungen. Mehr...

Weiter auf Stabilisierungskurs

Das Bruttoinlandprodukt der Volksrepublik China ist im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum laut Angaben des dortigen Statistikamtes um 7,9% gestiegen. Schon im ersten Quartal hatten die Zahlen eine beeindruckende Wachstumsrate der wirtschaftlichen Leistung angezeigt. Mehr...

Entwicklung des Niedriglohnsektors

Im Jahr 2019 arbeitete etwa jede:r Fünfte abhängig Beschäftigte in Deutschland (19,9%) im Niedriglohnsektor. Dessen Ausbreitung seit Mitte der 2000er Jahre wurde wesentlich beschleunigt durch eine bewusste politische Intervention der damaligen rot-grünen Bundesregierung (Hartz-Gesetze), die darauf zielte, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu erhöhen. Mehr...

Rhetorische und reale Aufrüstung

Die Staats- und Regierungschefs der NATO, jenem »hirntoten« Militärbündnis (Emmanuel Macron), das beim Versuch, »die Freiheit des Westens am Hindukusch« zu verteidigen, gescheitert ist, verständigten sich bei ihrem Gipfeltreffen am 14. Juni 2021 in Brüssel auf neue Gegner. Mehr...

Weitere Kommentare und Kurzanalysen gibt es hier.

VSA: Bücher

VSA: Herbstprogramm online

Die Vorankündigungen der für Herbst/Winter 2021/2022 zur Veröffentlichung vorgesehenen Bücher können auf der VSA: Website angeschaut werden. Ein Klick auf die abgebildeten Buchtitel öffnet die jeweiligen Detailseiten.


Im Juli sind erschienen:

Reinhold Niemerg/Maria Cerull/Susanne Mohrig/Silvia Dulisch (Hrsg.): Das Ende der Angst
Charité Berlin: »Outgesourcte« Therapeut*innen erstreiten ihre Rückführung
Reihe WIDERSTÄNDIG
96 Seiten | EUR 9.00 | ISBN 978-3-96488-050-5

Gine Elsner: Augustes Töchter
Auf den Spuren engagierter Frauen
464 Seiten | Hardcover | Abbildungen | EUR 32.80 | ISBN 978-3-96488-040-6

Stephan Krüger: Weltmarkt und Weltwirtschaft
Internationale Arbeitsteilung, Entwicklung und Unterentwicklung, Hegemonialverhältnisse und zukünftiger Epochenwechsel
Kritik der Politischen Ökonomie und Kapitalismusanalyse, Band 6
600 Seiten | EUR 34.80 | ISBN 978-3-96488-021-5


Im August sollen erscheinen:

Jane McAlevey: Macht. Gemeinsame Sache.
Gewerkschaften, Organizing und der Kampf um die Demokratie
Herausgegeben von Stefanie Holtz (IG Metall Jugend) und Florian Wilde (Rosa-Luxemburg-Stiftung)
Aus dem Amerikanischen von Jan-Peter Herrmann
216 Seiten | EUR 14.80 | ISBN 978-3-96488-115-1

Sabrina Apicella: Das Prinzip Amazon
Über den Wandel der Verkaufsarbeit und Streiks im transnationalen Versandhandel
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
248 Seiten | EUR 16.80 | ISBN 978-3-96488-098-7

Cornelia Hildebrandt/Danai Koltsida/Amieke Bouma (Hrsg.)
Left Diversity zwischen Tradition und Zukunft
Linke Parteienprojekte in Europa und ihre Potenziale
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
400 Seiten | EUR 19.80 | ISBN 978-3-96488-079-6

Harald Wolf: (Nicht)Regieren ist auch keine Lösung
Chancen, Risiken und Nebenwirkungen, wenn Linke sich beteiligen
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung
200 Seiten | EUR 14.80 ISBN 978-3-96488-095-6

Erhard Crome: Die ungeliebte Alternative
Rückbesinnung auf friedliche Koexistenz für eine zeitgemäße internationale Politik
168 Seiten | EUR 14.80 | ISBN 978-3-96488-111-3

Tipps

Tipps zum Hingehen, Sehen, Zuhören, Diskutieren
(bitte jeweils kurzfristig prüfen, ob die Live-Veranstaltungen auch zugelassen sind)


Heine, Marx und der Kampf gegen Antisemitismus
Mittwoch, 4. August 2021, 18:00-20:00 Uhr | Hamburg
Stadtspaziergang mit der Rosa Luxemburg Stiftung Hamburg und Jürgen Bönig, Historiker, Autor von »Karl Marx in Hamburg« (VSA: 2019) und »Otto Meißner, Verleger des ›Kapital‹. Ein 1848er in Hamburg« (VSA: im Erscheinen). Am Beginn des 19. Jahrhunderts kam – nicht nur in Hamburg – ein Antisemitismus auf, der den ständischen Kampf gegen die kapitalistische Produktionsweise rassistisch und antireligiös wendete. Heinrich Heine und Karl Marx waren Opfer dieses neuen Hasses gegen Juden, den sie durch die Analyse der Probleme der Gesellschaft zu verstehen und zu bekämpfen suchten. Der Stadtspaziergang beginnt in den Resten des Israelitischen Tempels von 1844 und führt zu Orten, an denen der antikapitalistische Kampf gegen den Antisemitismus entstand (»Judenbörse«, Hamburger Hof, Bildungsverein für Arbeiter, Tonhalle, ehemalige Sitze der Verlage Hoffmann & Campe und Otto Meißner). Schriftliche Anmeldung erforderlich: anmeldung@rls-hamburg.de

150. Geburtstag von Karl Liebknecht
Donnerstag, 12. August 2021 | 18:30-20:30 Uhr | Online
Vortrag und Diskussion in Kooperation mit den Rosa-Luxemburg-Stiftungen Thüringen, Saarland und Sachsen-Anhalt. Mit Klaus Gietinger, Sozialwissenschaftler, Filmemacher und Autor des im Juli im Karl Dietz Verlag Berlin erscheinenden Buches: »Karl Liebknecht oder: Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Regierung!« Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren als mythische Figuren der Arbeiter:innenbewegung in der DDR gleichberechtigt, doch Liebknecht erschien handfest, Luxemburg eher schwierig. Mit den westdeutschen 68ern änderte sich das: Rosa strahlte heller als Karl. Für Klaus Gietinger ist es Zeit, Karl Liebknecht wieder aus der Versenkung zu holen.
Anmeldung per E-Mail notwendig zum Erhalt der Zugangsdaten für die Zoom-Veranstaltung: anmeldung@rls-hamburg.de.

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